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11. August 2007. Analysen: Politik & Recht - Indien Mohammad Hamid Ansari ist neuer indischer Vizepräsident

Ein ausführliches Porträt

Mohammad Hamid Ansari wurde mit großer Stimmenmehrheit am 10. August 2007 zum neuen Vizepräsidenten der Republik Indien gewäht und einen Tag später von Präsidentin Pratibha Patil vereidigt, um danach sein Amt als Vorsitzender des Oberhauses (Rajya Sabha) zu übernehmen. Ansari, ein untadeliger ehemaliger Spitzendiplomat, Akademiker und Spezialist für Westasien, war der Wunschkandidat der parlamentarischen Linken, auch wegen seiner kritischen Haltung gegenüber der Rolle der USA im Irak und in Afghanistan.

Das Wahlergebnis

Das Ergebnis war bereits vor dem eigentlichen Wahlgang der Abgeordneten beider Kammern des indischen Parlaments absehbar. Der im indischen Kontext links, liberal und säkular gesinnte Mohammad Hamid Ansari, Kandidat der regierenden United Progressive Alliance (UPA), der Linken und der Bahujan Samaj Party (BSP), aus einer sunnitischen Familie stammend, ehemaliger Spitzendiplomat und unter anderem Vizekanzler der renommierten Aligarh Muslim University (AMU), wurde mit 455 von insgesamt 762 abgegebenen Stimmen für die nächsten fünf Jahre zum Vizepräsidenten der Indischen Union gewählt (siehe unten als Anhang zu diesem Beitrag: Wahl und Funktionen des indischen Vizepräsidenten). Er setzte sich mit einem eindeutigen Stimmenvorsprung gegen Dr. Najma Heptullah, Kandidatin der von der Bharatiya Janata Party (BJP) geführten National Democratic Alliance (NDA), mit 222 Stimmen sowie gegen Rasheed Masood, Kandidat der United National Progressive Alliance (UNPA), mit 75 Stimmen durch. (Siehe Porträts von Heptullah und Masood) Ansari konnte sogar 14 Stimmen mehr als die Summe der ihn unterstützenden Abgeordneten von Congress, Kommunisten und BSP gewinnen, obwohl 5 Congress-Abgeordnete nicht wählten.

Interessanterweise handelte es sich bei allen drei Kandidaten um säkular orientierte Muslime. Damit trug die politische Klasse sowohl der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der zweitgrößten Religionsgemeinschaft in Indien als auch den Bedingungen des geopolitischen Umfelds der Indischen Union Rechnung.

Überlegungen im Vorfeld dieser Wahl

Prakash Karat, der Generalsekretär der Communist Party of India/Marxist (CPI/M), die die Minderheitsregierung von Premierminister Dr. Manmohan Singh maßgeblich von außen stützt und ihr Stimmenpotenzial bei der Wahl von Präsidentin Pratibha Patil geschlossen einbrachte, hatte bereits im Vorfeld der Nominierung zu dieser Wahl die Devise ausgegeben, der UPA- und Links-Kandidat sollte jemand sein, der kein Berufspolitiker ist. Damit torpedierte er unter anderem angebliche Ambitionen seines Parteikollegen Somnath Chatterjee, Speaker des Unterhauses, und machte es sowohl für den Congress als auch die UPA insgesamt einfacher, einen von der CPI/M und den anderen Linksparteien ausgewählten Kandidaten zu unterstützen. Obwohl im Vorfeld der ehemalige Ministerpräsident von Jammu & Kashmir, Dr. Farooq Abdullah, sowie Jeevan Reddy, Richter am Obersten Gericht (Supreme Court) und Mushirul Hassan, Vizekanzler der Jamia Millia University in Delhi, als Kandidaten für das Amt gehandelt wurden, einigten sich UPA und Linke schnell und einstimmig auf ihren Kandidaten – ganz im Gegensatz zu dem Nerven aufreibenden Hin und Her bei der Präsidentenwahl. Es waren auch Ansaris kritische Haltung zur Rolle der USA im Irak und ihrer Politik gegenüber dem Iran, die den Westasien-Spezialisten zum Favoriten der Linken machte, trotz einiger Bedenken, ob ein ehemaliger Diplomat und Akademiker wirklich geeignet sei, die von parteipolitischen Strategien und Interessen geprägten Sitzungen der Rajya Sabha (Oberhaus) angemessen und souverän leiten zu können. Die Wahl eines "muslimischen" Kandidaten führte aber auch zu kontroversen Debatten innerhalb der Linken. Es wird von dem neuen Vizepräsidenten in Zukunft innenpolitisch auch eine Art Brückenfunktion zwischen der UPA und der Linken im Oberhaus erwartet.

Zur Person des neuen Vizepräsidenten

Der 1937 in Kalkutta geborene Mohammad Hamid Ansari studierte an der Saint Edwards High School in Shimla – ehemalige Sommerresidenz der britischen Vizekönige und heute Hauptstadt des Himalaya-Bergstaates Himachal Pradesh – sowie am von indischen Jesuiten geführten Saint Xavier’s College in Kalkutta und der Aligarh Muslim University in Uttar Pradesh, wo er seinen Master in Politikwissenschaft erwarb. Ansari stammt aus einer bekannten politischen Familie und gehört zur Elite der Awadhi Muslime, die, aus dem Gebiet des ehemaligen Königreiches Awadh (Lucknow) stammend, ihre Herkunft von den alten Invasoren-Familien herleiten und bekannt für ihren kultivierten Lebensstil sind. Sein Vater Abdul Aziz Ansari nahm an der von Mahatma Gandhi angeführten Nicht-Kooperations-Bewegung 1921 gegen die britischen Kolonialherren teil. Sein Großonkel Dr. Mukhtar Aziz Ansari war 1927 Präsident der Madras-Session des Indian National Congress.

"Seltenes Phänomen eines gelehrten Diplomaten"

Als einer der Spitzendiplomaten des Indian Foreign Service (IFS, Jahrgang 1961) war Ansari Botschafter in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Afghanistan und im Iran sowie als indischer Hochkommissar in Australien und als ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen tätig. In den 1980er Jahren war er Indira Gandhis Protokollchef während eines Gipfeltreffens der Blockfreien-Bewegung (Non-Alignment Movement) sowie eines Treffens der Commonwealth-Staatschefs in New Delhi.

Er trug Anfang der 1990er Jahre maßgeblich dazu bei, die angeschlagenen Beziehungen zwischen dem Iran und Indien zu verbessern. Sowohl von Teheran aus – unter anderem durch ein Treffen der Außenminister des Iran, Chinas und Indiens – als auch in der UN entschärfte er die massive pakistanische Kampagne in verschiedenen UN-Gremien wegen unterstellter bzw. tatsächlicher Menschenrechtsverletzungen im indischen Teil von Jammu & Kashmir.

Als Pensionär im Dienste der Nation

Nach dem Ende seiner diplomatischen Karriere leitete Ansari – interessanterweise eingesetzt von der vom Hindu-Nationalisten Atal Bihari Vajpayee geführten Regierung – als Vizekanzler die nur wenige Autostunden von Delhi entfernte Aligarh Muslim University (ursprünglich als Muhammadan Anglo Oriental College von dem Bildungsreformer Sir Syed Ahmad Khan nicht lange nach der sogenannten Mutiny bzw. dem First War of Liberation von 1857 gegen die Herrschaft der British East India Company und dem formalen Beginn der britischen Kolonialherrschaft 1875 gegründet). Während seiner Amtszeit von 2000 bis 2002 bekämpfte Ansari dort unter anderem erfolgreich die chronische Abwesenheit von Studierenden in Lehrveranstaltungen.

Zuletzt wirkte er, eingesetzt von der UPA-Regierung, als Vorsitzender der Nationalen Kommission für Minderheiten. In dieser Eigenschaft entsandte er ein Team nach Gujarat, um die nach wie vor schlechte Situation von Opfern der genozidartigen anti-muslimischen Massaker, denen 2002 etwa 2.000 Menschen zum Opfer fielen, in dortigen Notunterkünften überprüfen zu lassen.

Ansari war außerdem als Gastprofessor am Centre for West Asian and African Studies an der Jawaharlal Nehru-Universität sowie an der Academy of Third World Studies der Jamia Millia-Universität in Delhi tätig. Seine große Kompetenz zur Region Westasien führte zu seiner Mitgliedschaft im National Security Advisory Board (NSAB). Er stellte seine Expertise auch der Observer Research Foundation (ORF) zur Verfügung. Dieser Think Tank gehört zum Reliance-Konzern der Familie Ambani, dem größten indischen Privatunternehmen, das auch Interessen an Erdgas- und Öl-Lieferungen aus dem Iran und Turkmenistan hat.

Expertise, Tatkraft und nationaler Konsensus

Ansari ist ein ausgesprochener Iran-Kenner. So war er Herausgeber des Buches "Iran Today: Twenty-five Years After the Islamic Revolution", schrieb Hintergrundpapiere und Artikel unter anderem für die Tageszeitung The Hindu und hielt Vorträge zur geopolitischen Bedeutung Irans. Auf diese Weise wirkte er seit vielen Jahren – auch hinter den Kulissen – meinungsbildend in den Debatten über Indiens Interessen in Westasien. Interessanterweise war er auch Vorsitzender des Beratungsausschusses für Öl-Diplomatie, den das Ministry for Petroleum and Natural Gas eingesetzt hatte, um die indische Energiesicherheit – unter anderem im Wettbewerb mit der Volksrepublik China in verschiedenen Weltregionen – angemessen zu gewährleisten. Damit war er auch beteiligt an den Planungen für die Pipeline, die Öl vom Iran über Pakistan nach Indien bringen soll. Der Deal, der kurz vor dem Abschluss steht, wird von den USA stark kritisiert.

S. K. Lambah, Sonderbeauftragter des Premierministers für Pakistan, Afghanistan und die ASEAN sowie früherer Botschafterkollege des neuen Vizepräsidenten, betont als dessen herausragende Eigenschaften Intellektualität, Humor und Geschichtsbewusstsein. Der gerade auch mit so schwierigen Themen wie Menschenrechtsverletzungen vertraute Ansari sei ein Mann, der sowohl den Konsensus anstrebe, aber auch, wie er in seiner Auseinandersetzung mit der pakistanischen Diplomatie in der UN hinreichend demonstriert habe, fest zu seinen Prinzipien stehe. 1

Zur Vorbereitung meines Vortrags "Geopolitik, atomare Kriegsgefahr und indische Sicherheitsinteressen"[fussnote:2064:9:l:2] vor dem Planungsstab des Auswärtigen Amtes, vor der Arbeitsgruppe Außenpolitik der SPD-Fraktion im Reichstag sowie vor hohen Militärs im Verteidigungsministerium in Berlin sprach ich ausführlicher mit Ansari in Delhi. Der von Mohammad Hamid Ansari gemachte Vorschlag einer "Finnlandisierung" Afghanistans unter denkbarer Mitwirkung Europas bedarf sicherlich eines sehr detaillierten Nachdenkens, angesichts der zu erwartenden indirekt positiven Auswirkungen auf den indisch-pakistanischen Konflikt. 3

Die in Afghanistan zunehmend ratloser werdenden Deutschen und Europäer mit ihrem überwiegend leider noch immer partikular und viel zu wenig universal orientierten Weltbild (Helmut Gollwitzer, Philosoph und Theologe) hätten wohl schon etwas früher das Gespräch mit einem Mann von der intellektuellen und menschlichen Qualität des neuen Vizepräsidenten der indischen Republik, alleine schon aus ihrem existenziellen Eigeninteresse heraus, suchen können und müssen, obwohl es dazu – auch in der Kunst des Zuhörens – niemals zu spät ist, beispielsweise durch künftige Teilnahme deutscher und europäischer Diplomaten auf der unter anderem für sie reservierten Tribüne in der Rajya Sabha bei außenpolitischen Debatten dieses Hauses unter Leitung von Mohammad Hamid Ansari.

 

Anhang

Wahl und Funktionen des indischen Vizepräsidenten 4

  • Der Vizepräsident ist mit seiner Wahl ex officio Vorsitzender der Rajya Sabha (Oberhaus), des Rates aller Staaten der Indischen Union. Dadurch ist er sowohl Teil des Parlaments als auch in seinen anderen Funktionen Teil der Exekutive.
  • Das Wahlkollegium setzt sich aus den 245 Mitgliedern des Oberhauses – einschließlich der auf Vorschlag der Regierung durch den Präsidenten bis zu zwölf nominierten Mitglieder – sowie aus den 545 Abgeordneten des Unterhauses – einschließlich ihrer zwei nominierten Mitglieder – zusammen. Die von der Nationalen Wahlkommission durchgeführte Wahl ist geheim.
  • Die Amtszeit beträgt fünf Jahre. Der Vizepräsident bleibt bis zur Wahl eines Nachfolgers im Amt. Er kann durch eine Resolution der Mehrheit der Rajya Sabha-Abgeordneten unter Zustimmung der Lok Sabha-Abgeordneten seines Amtes enthoben werden.
  • Im Fall des Todes, Rücktritts oder einer Amtsenthebung des Präsidenten der Republik amtiert der Vizepräsident bis zur Wahl eines Nachfolgers. Er fungiert auch als amtierender Präsident bei Abwesenheit und Krankheit des Amtsinhabers. In dieser Funktion genießt er alle Macht und Privilegien des Präsidenten, allerdings kann er während einer solchen Periode nicht die Sitzungen der Rajya Sabha leiten.
  • In der Geschichte des unabhängigen Indien wurden bislang sechs Vizepräsidenten in das Amt des Präsidenten gewählt.

 


[ 1 ] Vinod Sharma: Mohammad Hamid Ansari: Scholar Diplomat. Hindustan Times, 28.7.2007, S.18

[ 2 ] suedasien.info, 15.2.2003

[ 3 ] Der oben genannte Vortrag ist abgedruckt in Südasienwissenschaftliche Arbeitsblätter, Band 5, herausgegeben von Rahul Peter Das, Institut für Indologie und Südasienwissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale), 2003, S.37-38

[ 4 ] Vgl. dazu: V-P’s post unique to India among C’wealth nations. Times of India, 23. 7. 2007, S. 1

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