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14. Mai 2009. Analysen: Wirtschaft & Soziales - Indien Der Kampf geht weiter

Fischer und Bauern bekämpfen eine geplante Sonderwirtschaftszone an Maharashtras Küste

Sonderwirtschaftszonen haben in Indien seit ihrer Einführung im Jahre 2000 wiederholt zu Konflikten und Protesten geführt. 2007 erlangte der Landstrich Nandigram im Bundesstaat Westbengalen traurige Berühmtheit, als 14 Dorfbewohner bei Zusammenstößen mit der Polizei starben. Sie hatten gegen die Einführung einer Sonderwirtschaftszone protestiert, die viele von ihnen um ihr Land und ihre Existenzgrundlage gebracht hätte. Dieser Vorfall erregte weltweit Aufmerksamkeit und Entrüstung, doch hält es die Indische Regierung nicht davon ab jährlich Hunderte neuer Sonderwirtschaftszonen zu bewilligen.

Ursprünglich galt die Schaffung der Sonderwirtschaftszonen (SEZ) der Verbesserung von Indiens Exportzahlen. Die SEZ sind ausgewiesen zollfreie Enklaven, denen hinsichtlich ihrer Tarife, Zölle, Steuern und internen Gesetze freie Hand gelassen wird. Selbst national geltende Arbeits- und Umweltgesetze sind in den Sonderwirtschaftszonen außer Kraft gesetzt, da diese de facto als ausländisches Territorium gelten.

Vielerorts entwickeln sich ähnliche Szenarien wie in Nandigram, da private wie staatliche Investoren wenig Rücksicht auf die lokal ansässige Bevölkerung nehmen. Bewaffnet mit dem Versprechen für bessere Infrastruktur und neue Arbeitsplätze zu sorgen, versuchen die Investoren landwirtschaftlich genutztes Land zu akquirieren, ohne den Betroffenen eine angemessene Entschädigung zu bieten. Häufig geht die Schaffung großer Zonen auch mit großflächigen Umsiedlungsprogrammen einher. Doch entgegen den Versicherungen Rakesh Surajs, eines Sprechers der Indischen Industrie- und Handelskammer (Associated Chambers of Commerce and Industry of India / ASSOCHAM), dass selbstverständlich nur Zonen bewilligt würden, von denen auch die lokale Bevölkerung profitiere, existieren keine Gesetze, die die Investoren zum Bau von Straßen, Schulen und Krankenhäusern oder zur Schaffung von Arbeitsplätzen für die ansässige Bevölkerung verpflichten würden.

Eines der jüngsten Beispiele findet sich in Maharashtra. Dort riefen letztes Jahr Pläne für eine neue SEZ im Gorai-Uttan-Gürtel nördlich von Mumbai immensen Widerstand von Seiten der betroffenen Bevölkerung hervor. 2006 hatte der private Investor Essel Infraprojects, der bereits zwei Vergnügungsparks – "Essel World" und "Essel Water Kingdom" – in der Gegend betreibt, grünes Licht vom Handelsministerium für die Schaffung einer Sonderwirtschaftszone von über 5.000 Hektar erhalten. Der Gorai-Uttan-Gürtel, auch bekannt als Dharavi Island, besteht aus zehn Dörfern entlang der Küste, die sich an Mumbais nördliche Vororte anschließt. Dieses Gebiet beabsichtigte Essel Infraprojects in eine Sonderzone für die Tourismus- und Erholungsindustrie zu verwandeln, die Mumbais wohlhabende Mittel- und Oberschichten bedienen soll. Da die Dörfer jedoch den Küstenstreifen mitsamt seiner Strände okkupieren, sah der ursprüngliche Plan eine Umsiedlung von über 125.000 Menschen ins Hinterland vor.

Doch zwei Drittel der Menschen in den Dörfern des Gorai-Uttan-Gürtels gehören zur Gemeinschaft der Koli, den ursprünglichen Bewohnern der Gegend in und um Mumbai. Die Koli arbeiten traditionell als Fischer und Bauern. Die Bauern könnten eventuell mit einer angemessenen Entschädigung und neuem Land eine neue Existenz aufbauen, doch was würde aus den Fischern, wenn sie sich 100 km landeinwärts wiederfänden? Selbst wenn sie ihre Häuser entlang der Küste nicht aufgeben müssten, wäre es ihnen unmöglich ihren Beruf weiter auszuüben, da die geplante Zone bis zu 2 km ins Meer reichen und ihnen somit den Zugang zum Wasser verwehren würde.

Gordon D’Souza, der als Journalist und Vizepräsident der Bombay Catholic Association die Protestaktionen der Bevölkerung unterstützt, schilderte noch weitere Problematiken. Neben der Frage nach den Existenzgrundlagen der Menschen ginge es auch um den Schutz einer vom Aussterben bedrohten Kultur, sagte er. 90% der Kolis sind Christen, die im 16. Jahrhundert von den Portugiesen konvertiert wurden und bis heute Familiennamen wie Gonzales, D’Silva oder Mendoza tragen. Sie unterscheiden sich auch dadurch von anderen Koli-Gruppierungen im Inland Maharashtras, indem sie sich selbst als die ethnische Minderheit der East Indians bezeichnen. Vermutlich resultiert diese Eigenbezeichnung noch aus den Zeiten der portugiesischen Eroberer, die zwischen den von Kolumbus entdeckten "Indianern" und den Indern des Ostens sprachlich zu unterscheiden versuchten. Die East Indians besiedeln das Gebiet nördlich von Mumbai seit Jahrhunderten und entwickelten  einen eigenen Dialekt des Marathi, eigene  Kleidungs- und Speisetraditionen sowie eine spezifische Form des römisch-katholischen Christentums. Früher stellten sie große Bevölkerungsanteile auf den Inseln, die zu der Stadt Bombay wurden, doch im Laufe der Entwicklung Bombays  über eine koloniale Großstadt bis hin zur Megametropole Mumbai im 20. Jahrhundert wurden die Koli-Siedlungen zunehmend aus dem Stadtbild verdrängt. Heute finden sich nur noch wenige, meist Slum-ähnliche Reste dieser Siedlungen innerhalb des Stadtgebiets, vor allem entlang der Westküste der Stadt in den Bezirken Colaba und Bandra. Im Gegensatz dazu überlebten die zehn Dörfer des Gorai-Uttan-Gürtel und zählen  heute  zu den letzten verbleibenden traditionellen Dörfern der East Indians in Mumbais Umgebung. Die Schaffung einer Sonderwirtschaftszone in diesem Gebiet würde also nicht nur die Existenzgrundlage der ansässigen Bevölkerung zerstören, sondern laut Gordon D’Souza auch die letzten Überreste der indigenen Kultur Mumbais auslöschen.Ein weiterer Punkt sei die drohende Umweltzerstörung, da große Teile der vorgeschlagenen Zone Mangrovengebiet seien, das nach dem Coastal Regulation Zone Act unter Naturschutz stehe.

Als die Menschen des Gorai-Uttan-Gürtels sich mit diesen Zukunftsaussichten konfrontiert sahen, schritten sie zur Tat. Mit Hilfe einer eigens dafür gegründeten Organisation namens Dharavi Beth Bachav Samithi (Save Dharavi Island Council) wurden in den letzten zwei Jahren über 15.000 Klagen gegen die geplante Sonderwirtschaftszone von Essel Infraprojects eingereicht. Zahlreiche Demonstrationen, Straßenblockaden und Informationsveranstaltungen wurden organisiert, von denen manche über 10.000 Teilnehmer zählten. Anders als in Nandigram haben die Proteste bisher keine Opfer gefordert, sondern den SEZ-Gegnern einen beträchtlichen Erfolg beschert: Das Unternehmen Essel Infraprojects verkündete im Dezember 2008, es sei bereit, die geplante Zone auf 110 Hektar im Gegensatz zu den 5.000 ursprünglich angestrebten  zu reduzieren.Die Freude darüber ist groß, doch für viele  bleibt es dennoch ein Teilsieg, denn selbst die kleinere Zone würde nicht nur das Mangrovengebiet bedrohen, sondern birgt auch die Gefahr einer sukzessiven Ausweitung der Zone.

Interessant ist auch, dass das Thema in den letzten Wochen kaum Beachtung im Wahlkampf zu den indischen Parlamentswahlen gefunden hat, denn Parteien, die sich – zumindest in Maharashtra – für die Schaffung von Zonen ausgesprochen hätten, hätten sicherlich mit Rückschlägen bei den Wahlergebnissen rechnen müssen. Der Aktivist Gordon D’Souza vermutet jedoch, dass die Wiederaufnahme der SEZ-Strategie nach den Wahlen nicht lange auf sich warten lassen wird, denn dann seien sich die Parteien für die nächste Legislaturperiode, also fünf Jahre lang, ihres Amtes sicher.

So scheint es im Moment ruhig im Gorai-Uttan-Gürtel, doch die Befürchtung, dass es hier ein weiteres Nandigram geben wird, ist nach wie vor latent spürbar.

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