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20. Mai 2012. Analysen: Bangladesch - Wirtschaft & Soziales Die Schwächsten in der Gesellschaft

Sexarbeiterinnen in Bangladesch

Prostitution in Bangladesch ist ein fest institutionalisiertes Schattengeschäft, das von der Stadt- bis hin zur Dorfebene zu finden ist. Jene Frauen sind dabei das schwächste Glied dieses Netzes, das viele gesellschaftliche Schichten umspannt und einen Mirkokosmos darstellt - der exisitiert zwischen Illegalität und Duldung.

Jessore, 14. März 2012. Die Sonne senkt sich langsam über den engen Gassen des Babu Bazar, einem der vielen geschäftigen Viertel der Stadt im Westen Bangladeschs. Die staubige und von Auspuffqualm getrübte Luft erschwert das Atmen. Unzählige Geschäfte reihen sich hier aneinander, Händler bieten lautstark ihre Waren feil und Fußgänger hasten zwischen Rikschas, Motorrädern und Kleintransportern über die Straße. Es gibt Lebensmittelgeschäfte, Elektronik- und Haushaltswarenläden – dazwischen Teebuden und Essensstände. Lärm dringt aus allen Ecken. Nichts scheint ungewöhnlich an dieser Szene. Ein geschäftiger Nachmittag in einer bangladeschischen Stadt.

Sexarbeiterinnen vor Bordell
Sozial ausgegrenzt: Sexarbeiterinnen warten im Bordell von Jessore auf Kundschaft. Foto: Sven Wagner

An einer grauen, verwitterten Hauswand lehnen zwei Frauen, die kaum in dieses Bild passen. Sie tragen modische Saris mit Pailletten und sind auffällig geschminkt. Unruhig betrachten sie die Leute auf der Straße. Ihrem äußeren Anschein nach warten sie darauf abgeholt zu werden, um ein Fest, vielleicht eine Hochzeit, zu besuchen. Doch sie werden nicht gehen. Niemand wird sie abholen, denn ihr Zuhause befindet sich hier – in dieser Straße, hinter der kleinen Tür, vor der sie warten. Als einige Männer zielsicher darauf zu steuern, öffnen die Frauen diese schließlich und treten mit einem Schritt über den offenen Rinnstein davor in einen kleinen Korridor. Dunkel und rau, mit morschen Holzplanken verkleidet, führt er zu einem Hinterhof. Man muss sich bücken während man die paar Meter geht, bis man schließlich das Heim der beiden Frauen erreicht: das Babu-Bazar-Bordell im Herzen von Jessore. Die Männer, die hereingeführt werden, gehören zu den vierzig bis fünfzig Kunden, die im Durchschnitt täglich kommen. An besonders geschäftigen Tagen suchen bis zu einhundert Männer die knapp zwanzig hier arbeitenden Frauen auf.

Prostitution ist ein beständiges Geschäft in Bangladesch. Es gibt Bordellviertel in Städten, Straßenprostitution und Hausbesuche sind bis auf Dorfebene verbreitet. Einer Studie der Weltbank zufolge lag die Zahl der bangladeschischen Sexarbeiterinnen im Jahr 2008 bei 105.000. Das Gewerbe ist keineswegs eine Randerscheinung. Über Jahrzehnte hinweg hat sich eine enorme Infrastruktur entwickelt, errichtet auf dem schmalen Grat zwischen Illegalität und Duldung. Das Bordell in Jessore ist nur ein Beispiel dafür: seit gut 150 Jahren besteht die Anlage.

Prostitution ist ein Schattengeschäft, dem man überall begegnen kann. "Selbst in abgelegenen Dörfern gibt es Sexarbeiterinnen, die von Freiern in ihren Häusern besucht werden", sagt Farida Yasmin, Programmdirektorin des Bangladesh Development Service Center. Sie arbeitet in einem Projekt, das die Wiedereingliederung von Sexarbeiterinnen in die Gesellschaft zum Ziel hat. "Was diese Frauen tun, ist in den Dörfern bekannt. Die Leute reden hinter vorgehaltener Hand darüber, verurteilen und brandmarken sie. Darunter sind aber auch die Männer, die selbst zu ihnen gehen." Vor allem ist das Sexgewerbe aber ein Geschäft mit zahlreichen Akteuren und Betroffenen, in dem jede und jeder eine bestimmte Rolle spielt. Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, Freier, Zuhälter, Nachbarn, Hausverwalter, Polizisten und Lokalpolitiker: ein ganzer Kosmos existiert im Halbdunkel. Die Sexarbeiterinnen sind dabei dem Druck von allen Seiten ausgesetzt und haben die schwächste Position innerhalb dieses Gefüges. Prostitution ist schließlich gesellschaftlich noch immer geächtet. Eine Frau, die ihr Geld damit verdient, wird von der Gesellschaft als Außenstehende betrachtet. Sie gilt als unrein, Beschmutzerin der Familienehre und als Verführerin der Männer.

Mit dem Versprechen von Arbeit in der Stadt als Haushaltshilfe verlassen viele Frauen ihr Zuhause und werden über Kontaktpersonen in das Milieu eingeführt. Sie wohnen für einige Tage in den Häusern der Mittelsmänner, bei freier Kost und Logis. Danach bringen diese sie in ein Bordell und zwingen sie zu bleiben. Bisher in Anspruch genommene Wohnungs-, Essens- und sonstige Kosten werden ihnen vorgerechnet und sie werden genötigt, diese durch Prostitution zu begleichen. Die Zuhälter drohen den Frauen mit Gewalt gegen sie und ihre Familien. Besonders in Grenzregionen werden Frauen auf diese Weise sogar bis nach Kolkata und Mumbai geschleust.

Sexarbeiterin in Bangladesh
Prostitution ist ein beständiges Geschäft in Bangladesch. Es gibt Bordellviertel in Städten, Straßenprostitution und Hausbesuche sind bis auf Dorfebene verbreitet. Foto: Sven Wagner

Doch Sexarbeit ist kein reines Zwangsgeschäft, von dem Zuhälter und Menschenhändler profitieren. In manchen Fällen treibt allein die wirtschaftliche Situation Frauen dazu, diesen Schritt bewusst zu gehen. Vor allem in ländlichen Regionen lässt sich eine Art häusliche Prostitution extrem armer Frauen beobachten. Sie empfangen Freier bei sich zu Hause, da sie keine andere Möglichkeit sehen Geld zu verdienen. "Die Ehemänner wissen oft darüber Bescheid und nehmen es in Kauf. Manche unterstützen ihre Frauen sogar dabei, indem sie gezielt Werbung machen", gibt Farida Yasmin zu bedenken. Doch egal unter welchen Umständen sich Frauen prostituieren: sie sind machtlos gegen gesetzliche Willkür. Sie werden von staatlichen Leistungen ausgeschlossen, erhalten weder einen Personalausweis noch eine Geburtsurkunde für ihre Kinder. Allein die Arbeit von NGOs trägt zur Verbesserung ihrer Situation bei. Eine wichtige Errungenschaft stellt hier die staatliche Registrierung von kommunalen Gruppen dar, in denen sich Sexarbeiterinnen organisieren und für ihre Rechte eintreten können. Heutzutage besteht die Möglichkeit, sich als Sexarbeiterin offiziell registrieren zu lassen. Schutz vor Repression bietet dies jedoch kaum.

Die Frauen in Babu Bazar sind gerade beim Mittagessen. Das Bordell wirkt wie eine kleine Marktstraße. Rechts und links befinden sich die kleinen Häuser der Frauen. Das Leben spielt sich auf engstem Raum ab. Allein der Weg dazwischen bietet etwas Platz. Er führt zu einem überdachten Kochplatz mit Brunnen, an dem die Frauen gemeinsam kochen und waschen. Einige Kunden sind noch da, während die meisten Frauen essen oder wie Jolly auf Pritschen vor ihren Hütten dösen. Ein Mann kommt aus ihrem Haus und setzt sich dazu. Er blickt ins Leere und schweigt, während er ab und zu an einer Tasse Kaffee nippt. Etwa 30 bis 50 Euro-Cent bezahlen Freier hier für Sex. Der Preis wird verhandelt.

Jolly ist 26 Jahre alt und wirkt selbstbewusst. In forschem Ton erzählt sie, dass zur Mittagszeit nie viel los sei. "Um 10 Uhr morgens startet unser Tag: Aufstehen, Waschen, Kochen. Manchmal kommen die ersten Männer schon um diese Zeit. Bis um 14 Uhr sind wir beschäftigt. Dann wird es wieder bis zum späten Nachmittag ruhiger." In der hinteren Ecke der Veranda sitzt ein Mädchen, das noch nicht einmal 13 Jahre alt ist. Tiefroter Lippenstift ziert ihren Mund. Sie isst gebratenen Reis aus einer Aluminiumdose und lächelt. "Ob ich auch manchmal ablehne? Nein. Wenn jemand kommt und mich sehen will, dann muss ich ihn doch nehmen." Als ob sie nicht ganz verstünde, wie man auf die Idee kommt ihr eine solche Frage zu stellen, steht sie auf und wäscht ihre Aluminiumdose ab. Die Strukturen im Bordell sind klar und fest institutionalisiert. Es existiert eine Art Fürsorge- und Beziehungssystem. Junge und neue Frauen, die sogenannten Chukri, stehen unter dem Schutz einer älteren und schon länger ansässigen Sexarbeiterin, der Mashi. Die Mädchen und Frauen sind gezwungen ihr verdientes Geld an die Mashi abzugeben. Diese entscheidet dann wie viel sie bekommt – und ob sie überhaupt etwas bekommt. Die Mashi selber sind den Zuhältern weisungsgebunden. Diese kontrollieren letztendlich alle Vorgänge. Sie organisieren Räume für neue Frauen, wickeln die Miete ab und sorgen dafür, dass das Bordell von der Polizei möglichst unbehelligt bleibt. Das Bordell ist das Zuhause der Sexarbeiterinnen: sie schlafen, arbeiten und essen hier. Nur sehr selten verlassen sie es, um Nahrungsmittel oder Kosmetikprodukte einzukaufen. Viele Frauen wollen das Gelände gar nicht verlassen. Die Frauen in Babu Bazar sprechen vom "Gang nach draußen", für sie ist das Bordell eine abgeschottete Lebenswelt. Wenn sie auf die Straße gehen, sind sie den verachtenden Blicken und Äußerungen der Gesellschaft ausgesetzt.

Sexarbeiterinnen mit Kindern
Viele Sexarbeiterinnen bringen ihre Kinder im Bordell zur Welt – und ziehen sie dort groß. Foto: Sven Wagner

Jolly sitzt inzwischen auf dem Bett in ihrem Zimmer. An der Wand hängen Filmposter und Bilder von Blumen. Der Raum ist gerade groß genug für ein Bett und einen kleinen Schrank. In dem Fernseher, der darauf steht, läuft ein alter Action-Film. Sie sieht gut genährt aus. "Die Männer mögen das", erklärt sie. "Deswegen sehen die meisten Frauen hier so aus." Die Ursache dafür ist jedoch in den seltensten Fällen gute Ernährung. Um sie für Freier attraktiv zu machen, injizieren die Mashi den jungen Sexarbeiterinnen oft Oradexon. Ein Steroid, das sonst in der Landwirtschaft eingesetzt wird, um Vieh künstlich zu mästen. Im Schein der Neonlampe wirkt Jollys Gesicht geisterhaft. Es ist überzogen von einer dicken Schicht hautaufhellender Gesichtscreme. Wie viele Frauen in Bordellen benutzt sie die gesundheitsschädliche Kosmetik, um ein möglichst helles Gesicht zu bekommen. Freier bevorzugen das. Es wirkt wie eine Maske, hinter der man sie eigentlich gar nicht mehr erkennt. Verglichen mit den sexuell übertragbaren Krankheiten die in Bordellen grassieren, scheint das egal. Die absolute HIV-Rate ist in Bangladesch zwar verhältnismäßig gering. Dr. Munir Ahmed, Gesundheitsexperte von UNAIDS, zufolge, beträgt sie landesweit weniger als 0,1 Prozent. In Bordellen liegt sie jedoch deutlich darüber. Syphilis ist ebenso weitverbreitet. Die Infektionsrate unter Sexarbeiterinnen variiert innerhalb Bangladeschs von Stadt zu Stadt. So liegt sie laut ICDDR,B in Dhaka bei 2,2 Prozent, in Sylhet bei 9,3 Prozent.

HIV-Prävention und Aufklärungsarbeit sind zumeist Teil der Arbeit der wenigen NGOs, die sich in der Region Jessore für die Rechte von Sexarbeiterinnen einsetzen. Gesellschaftliche Ablehnung und Ignoranz machen die Arbeit von NGOs in diesem Bereich noch immer besonders schwer. Die Organisation Jagorani Chakra Foundation (JCF) ist eine von ihnen. Sie unterhält außerdem Programme für die Kinder der Sexarbeiterinnen. Viele Frauen, die durch ihre Tätigkeit in einem Bordell schwanger wurden, ziehen ihre Kinder auch dort auf, da es kaum eine andere Möglichkeit gibt. Sie ebnen dadurch ungewollt den Weg für deren Stigmatisierung auf lange Sicht. Ihre Töchter und Söhne sind nicht nur die Kinder von Sexarbeiterinnen, sie sind zudem in einem Bordell geboren und aufgewachsen. Die Gesellschaft wird sie niemals akzeptieren. Im Jahr 2008 hat JCF ein Kinderheim in Jessore eröffnet, in dem Mädchen und Jungen fernab des rauen Bordellklimas aufwachsen können. "Es ist besonders wichtig den Kindern Anonymität zu geben. In unserem Haus können sie einen Weg in ein normales Leben ohne Vorurteile finden", erklärt Mazed Nawaz, stellvertretender Direktor der Organisation. "Doch allein das Vorhaben stellte uns vor enorme Probleme. Als wir das Kinderheim eröffnen wollten, löste das einen Proteststurm in der Bevölkerung aus. Man sah, wie verbissen die Leute dieses Thema betrachten und wie tief deren Ablehnung verwurzelt ist."

Mittlerweile dämmert es in Jessore. Jolly sitzt noch immer auf ihrem Bett. Ihr Elternhaus befindet sich in einem Dorf im Distrikt Khulna. Wann genau sie nach Jessore kam, weiß sie nicht mehr. Allerdings weiß sie noch genau wie. "Meine Mutter hat mich verheiratet, obwohl ich das nicht wollte. Ich konnte nichts dagegen tun. Mein Ehemann hat mich schließlich hergebracht und mich gezwungen, hier zu arbeiten. Immer wenn ich dagegen rebelliert habe, kam meine Schwiegermutter und hat mich geschlagen oder mit einem heißen Löffel verbrannt", erklärt sie und deutet auf Brandmale auf ihren Schultern und ihrem Nacken. Mittlerweile hat sich ihr Sohn zu ihr gesetzt und spielt an ihren Armreifen. Sajib ist drei Jahre alt und wurde hier geboren. Er ist nur eines von vielen Kindern der 215 offiziell registrierten Sexarbeiterinnen in den Bordellen von Jessore. Jolly würde ihren Sohn auch gern in das Kinderheim von JCF bringen. Irgendwann wollen sie das Haus gemeinsam besuchen. Doch heute Nacht wird er hier bleiben. In dem Hinterhof, der anderen Welt, die sich hinter einer kleinen Tür befindet, nur zu erreichen durch einen dunklen, mit morschen Holzplanken Verkleideten Korridor.

 

 

Quelle: Dieser Beitrag erschien in der Ausgabe 01-2012 der Bangladesch-Zeitschrift NETZ zum Thema "Am Rand der Gesellschaft - Sexuelle Minderheiten in Bangladesch". Die Zeitschrift können Sie auf www.bangladesch.org/zeitschrift bestellen.

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