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16. Mai 2003. Analysen: Indien - Geschichte & Religion Die Entwicklung der Hindu Maha Sabha

von 1907 bis 1927

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stieg nicht nur der Nationalismus auf, sondern es politisierte sich auch die Religion. Verschiedene Organisationen auf religiöser Basis vetraten zunehmend politische Interessen und beeinflussten die politischen Ereignisse bis zur Teilung Britisch-Indiens 1947 entscheidend mit.

Im Jahr 1907 wurde in der Provinz Punjab mit der Punjab Hindu Sabha (PHS) eine Interessenvertretung ausschließlich für Hindus gegründet. Im Punjab stellte die Hindu-Bevölkerung eine Minderheit von 30 Prozent gegenüber 55 Prozenz Muslimen und 15 Prozent Sikhs dar. Darüber hinaus erließen die Briten im Jahr 1900 den Punjab Land Alienation Act, der den nicht-landwirtschaftlichen Gruppen verbot Landbesitz zu erwerben. Die Hindus, die größtenteils Händlerkasten angehörten und auf dem Land als Geldverleiher tätig waren, fühlten sich in ihren Interessen verletzt. Ihrer Bitte um Hilfe, die sie an den Indian National Congress (INC) richteten, wurde nicht nachgekommen. Als dann 1906 die Muslim League (ML) gegründet wurde, schien die Zeit gekommen zu sein, eine eigene Organisation zu gründen, welche ausschließlich die Interessen der Hindus vertreten sollte. (Lütt 1985: 220 ff.) Die PHS beschäftigte sich anfänglich allerdings weniger mit politischen, als viel mehr mit soziokulturellen Fragen und verfolgte dabei u.a. folgende Zielsetzungen:

(1) To promote brotherly feelings amongst the various sections of the Hindu community. (2) To help destitute and disabled Hindus. ... (4) To improve the moral, intellectual and material condition of Hindus. (5) Generally protect, promote and represent the interests of the Hindu community. (Bakshi 1997: 134)

Auf der ersten Sitzung der PHS im Jahr 1909 in Lahore wurde nicht nur die Schaffung weiterer Hindu Sabhas, sondern auch die Gründung einer All-India Hindu Sabha gefordert. Beiden Aufforderungen kamen die indischen Hindus nicht sofort nach, da ein Großteil von ihnen sich durch den INC und seine Aktivitäten ausreichend vertreten sah. 1915 wurde dann doch eine gesamtindische Organisation, die All-India Hindu Sabha (AIHS), im nordindischen Hardwar gegründet, da sich die innenpolitische Lage zu diesem Zeitpunkt verändert hatte. (Lütt 1985: 222 f.) Der INC und die ML näherten sich einander an und schlossen 1916 den sogenannten Lucknow-Pakt (Bianco 1969: 25 ff.) ab. In diesem gestand der INC den Muslimen separate Wählerschaften (separate electorates) sowie die Reservierung von Sitzen (weightage) zu. Beide Prinzipien waren im Zuge der Morley-Minto-Reform bereits 1909 den Muslimen von der britischen Regierung gewährt worden. Sie beinhalteten, dass die Muslime eigene Wahllisten hatten und dass ihnen in den wählbaren Körperschaften eine größere Anzahl Sitze reserviert wurde, als ihnen aufgrund ihres Bevölkerungsanteils zustand. Die im Pakt beinhalteten Konzessionen des INC an die Muslime wusste die AIHS zu nutzen, um sich als Alternative zum INC zu präsentieren.

Trotz eines allmählichen Zulaufes blieb die AIHS in den nächsten Jahren von untergeordneter Bedeutung. Erst ab etwa 1922 begann sie, nun unter dem 1921 geänderten Namen All-India Hindu Maha Sabha, kurz Hindu Maha Sabha (HMS), eine wichtigere Rolle in Britisch-Indien zu spielen (Lütt 1985: 223); als eigenständige Partei profilieren konnte sie sich aber noch nicht. Das lag einerseits an den verschiedenen Interessen ihrer Mitglieder, unter denen sich sowohl konservative, als auch reformwillige Hindus befanden. Die Reformer, die meist aus dem Umfeld des Arya Samaj stammten, kritisierten das Kastensystem und waren oftmals antimuslimisch und -britisch eingestellt. Die konservativen Sanatana-Dharmis hielten hingegen an den Vorschriften des traditionellen Hinduismus fest und zeigten sich den Briten gegenüber loyal. Andererseits sprach sich der damalige HMS-Präsident Pandit Madan Mohan Malaviya dagegen aus, die HMS zu einer mit dem INC konkurrierenden Partei zu machen. Ihm war an der Schaffung einer allen Hindus offenstehenden Vereinigung gelegen, die dem Zweck dienen sollte, soziale und religiöse Themen zu diskutieren und Reformen zu beschließen. (Lütt 2001: 85 f.)

Beide Gründe führten dazu, dass die HMS erst nach 1927 zu einer politisch aktiven Organisation wurde; zuvor engagierte sie sich hauptsächlich im sozialen und religiösen Bereich. 1923 wurden auf der Sitzung in Benares beispielsweise zwei Resolutionen zu den Themen Shuddi und Sangthan erlassen, mit deren Hilfe die Lage der Hindu-Gemeinschaft verbessert werden sollte. Shuddi umfasste dabei alle Versuche einer Konversion ehemaliger Hindus, die inzwischen zu einer anderen Religion übergetreten waren, zielten. Sangthan hingegen beinhaltete solche Aktivitäten, die einerseits einer verbesserten religiösen Bildung sowie andererseits einer physischen Stärkung der Hindugemeinschaft dienen sollten. (Wadhwa 1999: 20) Im Zuge des Sangthan-Programms beschäftigte die HMS sich u.a. mit Fragen der Erziehung für hinduistische Jungen und Mädchen, der Ausbildung von religiösen Lehrern und Priestern und der Verwaltung von Tempeln und anderen heiligen Stätten. Das neben Shuddi und Sangthan wichtigste Thema in der HMS war zu dieser Zeit die Unberührbarkeit. Es führte nicht nur zu heftigen Diskussionen zwischen den reformwilligen Arya-Samajis und den konservativen Sanatana-Dharmis, sondern auch 1926 zum Austritt der Letzteren, als diese ihre Meinung nicht durchzusetzen vermochten.

Bestehende Interessengegensätze in der HMS waren aber durch das Austreten der Konservativen keineswegs aufgehoben. Ab Mitte der 20er Jahre forderten immer mehr Mitglieder eine neue, an politischen Themen orientierte Ausrichtung der Organisation. Dieser Forderung wurde bald nachgegeben und die in den Provinzen bestehenden Hindu Sabhas durften nicht nur an den Wahlen von 1926 teilnehmen, sondern die HMS selbst engagierte sich ab 1927 aktiv in der Politik und nahm u.a. an den Verhandlungen für eine zukünftige indische Verfassung teil.

Quellen

  • Bakshi, S. R. (Hg.), The Making of India and Pakistan. Select documents. Ideology of Hindu Mahasabha and other Political Parties, Bd. 3, Neu Delhi 1997.
  • Bianco, Lucien (Hg.), Das moderne Asien. Fischer Weltgeschichte, Bd. 33, Frankfurt a.M. 1969.
  • Lütt, Jürgen, "Die regionalen Wurzeln der Hindu Mahasabha", in: Kulke, Hermann / Rothermund, Dietmar (Hg.), Regionale Tradition in Südasien, Stuttgart 1985, S. 219 - 233.
  • Lütt, Jürgen, "Drei Jahre Regierung der Hindunationalisten vor dem Hintergrund der neueren Geschichte Indiens", in: Draguhn, Werner (Hg.), Indien 2001. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Hamburg 2001, S. 79 - 105.
  • Wadhwa, Ram Lal, Hindu Maha Sabha. 1928 - 1947, Neu Delhi 1999.

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