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12. Dezember 2000. Analysen: Politik & Recht - Indien Sonia Gandhi

Ein Kurzporträt der Vorsitzenden des Congress (I)

Nach der Wahlniederlage des Congress (I) 1999 übernahm Sonia Gandhi den Vorsitz der Congress (I) Parliamentary Party (CPP) und wurde damit Oppositionsführerin mit Kabinettsrang im indischen Unterhaus.

Sonia Gandhi, am 9. Dezember 1946 in Lusiana bei Vicenza (Oberitalien) geboren - soziale Herkunft untere Mittelschicht und weltanschaulich praktizierende Katholikin - lernte Rajiv Gandhi als Studentin einer Sprachenschule im englischen Cambridge kennen. Außer ihrer Muttersprache spricht Sonia Gandhi Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch. 1968 heiratete sie Rajiv Gandhi, den ältesten Sohn der damaligen Ministerpräsidentin Indira Gandhi.

Als Frau des Piloten der staatlichen Fluglinie Indian Airlines führte sie im Haushalt Indira Gandhis ein von der Politik weitgehend zurückgezogenes Familienleben. In der National Gallery in Delhi erlernte sie das Restaurieren von Bildern. Ihre Tochter Priyanka, mittlerweile verheiratet, Mutter und eine der Hoffnungsträgerinnen der Partei, studierte Politische Wissenschaft an der Universität von Delhi, während der jüngere Sohn Rahul in den USA studierte.

Der jähe Unfalltod Sanjay Gandhis, des von Indira Gandhi für ihre eigene Nachfolge konsequent geförderten jüngsten Sohnes, leitete die politische Karriere Rajiv Gandhis ein. Sonia Gandhi gab ihre ursprüngliche Ablehnung gegen den planmäßigen Aufbau ihres Mannes als Spitzenpolitiker auf. Sie lernte Hindi und unterstützte Rajiv Gandhi aktiv in seinem im 150 Mio.-Staat Uttar Pradesh gelegenen Wahlkreis Amethi.

Als Frau des Premierministers Rajiv Gandhi nahm sie, mit dem sorgsam modellierten Image einer guten Hindu-Ehefrau, nur an offiziellen Funktionen, u. a. bei seinen zahlreichen Staatsbesuchen, teil. Sie gab keine Interviews. Allerdings wurde von Insidern behauptet, dass sie, aufgrund ihres "dominant-innigen Verhältnisses zu ihrem Mann", damals zahlreiche politische und personalpolitische Entscheidungen maßgeblich beeinflußte. Auch Zerwürfnisse im persönlichen Bereich führten zu politischen Konsequenzen für die Betroffenen, so u. a. für die früheren Minister Arun Nehru, Arun Singh, K. C. Pant. Sie soll die Entlassung des unter Indira Gandhi äußerst einflußreichen R. K. Dhawan, wegen seiner großen Nähe zur Premierministerin der "Henker Indira Gandhis" genannt, bewirkt haben, bevor er 1989 rehabilitiert und später Mitglied des Oberhauses wurde.

Rajiv Gandhis politische Gegner, so u. a. Schwägerin Maneka Gandhi im persönlichen Gespräch, unterstellten, dass über ihre Familienverbindungen und ihren Einfluß zahlreiche italienische Unternehmen, so u. a. der multinationale Konzern Snamprogetti, gewinnbringende Aufträge abschließen konnten. Der in der indischen Politik u. a. bei den ehemaligen Premierministern Chandra Shekhar und P. V. Narasimha Rao einflußreiche "Guru" Chandra Swamy, der über enge Verbindungen zum Waffenhändler Kashoggi verfügt, behauptete öffentlich ungestraft, dass Teile der angeblichen Schmiergelder des Bofors-Haubitzenskandals, der wesentlich zur Niederlage des Congress (I) 1989 und seinem späteren Niedergang führte, an Sonia Gandhis Vater gezahlt wurden.

Unmittelbar nach der Ermordung Rajiv Gandhis 1991 lehnte Sonia Gandhi das ihr angetragene Amt der Parteipräsidentin ab. Der aus Südindien stammende Reformpremier P. V. Narasimha Rao hielt ihre Anhänger und Sonia Gandhi u. a. durch Untersuchungen im Umfeld des Bofors–Skandals in Schach. Die Wahlniederlage 1996 und das bei den Unterhauswahlen 1998 sich abzeichnende Debakel des Congress (I) unter Führung des im Oktober 2000 verstorbenen ehemaligen Schatzmeisters und dann glücklosen Präsidenten Sitaram Kesri führten zum überraschenden Einsatz von Sonia Gandhi als alleiniger nationaler Wahlkämpferin ihrer Partei. Trotz der ihr entgegen schlagenden offenen Ablehnung durch die Mehrzahl der städtischen Mittelschichten gelang es ihr, das Schlimmste zu verhindern und den befürchteten dramatischen Absturz in der Wählergunst trotz weiterer Stimm- und Sitzverluste durch unübersehbare Sympathien für sie im ländlichen Bereich und speziell bei Frauen einigermaßen aufzuhalten. Die Siege Ende 1998 bei den Wahlen zu den Landesparlamenten von Madhya Pradesh, Rajasthan und Delhi versprachen Optimismus für die Zukunft. Nach dem Sturz der von Premierminister Atal Behari Vajpayee geführten Koalitionsregierung Anfang 1999 sah sich die siegeszuversichtliche Sonia Gandhi schon als Premierministerin. Allerdings vermochte sie es nicht, die erforderliche Unterstützung aller Oppositionsparteien zu errringen. Dieser schwere Rückschlag und der im Vorfeld der Unterhauswahlen 1999 Parteiausschluß ihrer wichtigen parteiinternen Gegenspieler, so u. a. Sharad Pawar und P. A. Sangma, die ihre ausländische Herkunft im Zusammenhang mit dem von ihr angestrebten Amt der Premierministerin zur Zielscheibe ihrer Kritik machten, schwächten sowohl Sonia Gandhi als auch den Congress (I) nachhaltig und führten zu schwersten Niederlage in der Geschichte dieser Partei.

Es bleibt abzuwarten, ob die seit 1998 amtierende und in ihrem Amt durch die parteiinterne Wahl im November 2000 erneut bestätigte Präsidentin des Congress (I) in Zukunft mehr öffentlichkeitswirksames und politisches Profil entfalten kann, um der schwer angeschlagenen Partei zu einem neuen Profil und zu einer effektiveren Organisationsstruktur zu verhelfen. Sonia Gandhi liest immer noch ohne nennenswerte Ausstrahlung bei Großveranstaltungen ihre politischen Reden in Hindi vom Blatt ab.

Sonia Gandhis ausländische Herkunft - sie erwarb erst kurz vor der 1989er Wahl die indische Staatsbürgerschaft - und ihre Religionszugehörigkeit könnten sich, trotz ihrer überzeugenden persönlichen Wahlsiege in Amethi (Uttar Pradesh) und Bellary (Karnataka) bei den Unterhauswahlen 1999, dauerhaft als nachteilig erweisen. Viel wird auch davon abhängen, ob sie sich aus der Umklammerung ihrer Berater ohne wirkliche Wählerbasis lösen und jüngere, dynamischere Politiker in die engeren Führungszirkel der Partei aufsteigen läßt.

Quelle: Der Text erschien im Original im November 2000 in einer Reihe von Kurzanalysen der Friedrich-Ebert-Stiftung, Büro New Delhi.

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