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16. Dezember 2003. Analysen: Geschichte & Religion - Nepal Rajadharma und Rajaniti

Zur Ideologie des hinduistischen Königtums in Nepal

Um das Selbstverständnis von König Gyanendra, der nach einem Massaker im königlichen Palast im Juni 2001 den Thron bestieg, als Hindumonarch zu begreifen, ist es notwendig, ein paar der grundlegenden hindupolitischen Vorstellungen zu erwähnen, die diesem Denken zugrunde liegen, nämlich die von dharma und artha.

Der Hindu weiß, dass er selbst, alle anderen Wesen und alles andere an Umgebung und Gemeinschaft, an Zeit und Kosmos gebunden sind und dabei eine ganz konkrete Aufgabe zu erfüllen haben. Der Begriff, der dieser Vorstellung zugrunde liegt, ist dharma. Er umfasst den gesamten Bereich von Moral, Kult, Recht und Sitte, ist inhaltlich auf die Kasten und Lebensstände bezogen und bewirkt durch seinen Vollzug jenseitiges Heil. [1]

Die klassischen hindupolitischen Schriften vollziehen eine begriffliche Trennung zwischen dharma, also religiös-sittlicher Ordnung, und artha, der politisch-weltlichen Ordnung. Diese beiden Bereiche, dharma und artha, sind nach hinduistischer Vorstellung nur an einem Punkt miteinander verbunden, nämlich in der Person des raja, des Königs. Für diesen fallen beide Bereiche zusammen. Rajadharma, die religiöse Pflicht des Herrschers, ist die Ausübung der politischen Tätigkeit, artha. [2] In diesem Sinne ist der König der Aufrechterhalter und Beschützer von dharma in seinem Reich.

Um seine Politik erfolgreich durchzusetzen, stehen dem König nach hinduistischem Staatsverständnis die Mittel des rajaniti zu. Niti bedeutet wörtlich "gutes Benehmen oder Verhalten", wird aber insbesondere auch allgemein im Sinne von "Politik" gebraucht. Dabei unterscheidet sich rajaniti deutlich von den ehrenwerten und moralisch hochstehenden Idealen des rajadharma, ja, es steht geradezu in einem krassen Widerspruch dazu. Während rajadharma der Weg ist, wie ein König sich rechtschaffen zu verhalten hat, ist rajaniti der Weg, der ihn zum Erfolg führt. Moral und Gewissen, die beim rajadharma so betont werden, finden beim rajaniti keine Beachtung; hier zählt nur der Erfolg.

Die vier Hauptmittel (upaya) des klassischen rajaniti sind saman (Versöhnung, Verhandlung), danda (Bestrafung, Züchtigung, Zwang, Angriff), dana (Schenkung, Geschenk, Bestechung) und bheda (Spaltung, Verrat, Säen von Zwietracht unter den Gegnern). Dazu kommen noch drei weitere Mittel: maya (Täuschung, Betrug), upeksa (Vernachlässigen, Ignorieren) und indrajala (Beschuldigung, Vortäuschung falscher Tatsachen).

Die Könige des modernen Nepal haben immer wieder auf diese Mittel zurückgegriffen, um ihre Politik durchzusetzen. Auch die Herrschaft von König Gyanendra lässt Erinnerungen an diese Tradition wiederaufleben. Gegner des nepalischen Hindumonarchen nach 1950 waren in erster Linie die politischen Parteien mit ihrem modernen, westlich orientierten Verständnis von Demokratie. Daher haben alle Könige seit Tribhuvan, dem Großvater des heutigen Königs, die Parteien mit den Mitteln des rajaniti bekämpft. Dieser Zusammenhänge müssen bewusst sein, um die moderne Geschichte und Politik des Königsreichs Nepal zu verstehen. Die bloße Übertragung westlicher politischer Vorstellungen allein reicht nicht aus.

Fußnoten

[1] Vgl. Krämer, Karl-Heinz 1978: Der politische Hinduismus von Nepal unter besonderer Berücksichtigung des Königtums. Unveröffentl. Magisterarbeit, Universität Bonn, S. 125. Siehe auch Hacker, Paul 1965: Dharma im Hinduismus. In: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft, Bd. 49, S. 100.

[2] Klimkeit, Hans-Joachim 1975: Das politische Engagement der Religionen Südasiens in der Neuzeit. In: J. F. Thiel und A. Doutreloux (Hg.): Heil und Macht. Approches du Sacré. Sankt Augustin, S. 100-119.

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