Inhalt

18. März 2008. Interviews: Indien - Kunst & Kultur Interview mit Meher Pestonji

Meher Pestonji (Jahrgang 1946) ist Autorin von zwei Büchern ("Pervez", "Sadak Chhaap") und mehrerer Kurzgeschichten (einige in ihrem Band "Mixed Marriage and Other Parsi Stories"). "Feeding Crows" ist nach "Piano for Sale" ihr zweites Theaterstück. Die Autorin gehört der Parsi-Community an und lebt alleinerziehend zusammen mit ihren beiden Töchtern in Mumbai.

Meher Pestonij
Meher Pestonji in ihrem Arbeitszimmer in Mumbai Foto: Thomas K. Gugler
Ihr erstes Buch war "Mixed Marriage". Was wollen Sie dem Leser darin vermitteln?
"Mixed Marriage and Other Parsi Stories" ist allem voran eine sehr kritische Analyse der gegenwärtigen Situation der Parsi-Community. Nach dreizehn Jahrhunderten in Indien haben wir uns immer noch nicht assimiliert und meiner Meinung nach ist das ein Problem.
Inwiefern ist das problematisch?
Die Entwicklung hätte komplett anders verlaufen können. Während der dreihundert Jahre der britischen Herrschaft wurden die Parsis wie Sie sagen "amerikanisiert", aber es ist eher "anglisiert". Parsis wurden von den Briten permanent bevorzugt, zum einen weil sie im Vergleich zur autochton-indischen Bevölkerung hellhäutiger waren und zum anderen weil sie als zielstrebig und in Geschäftsabsprachen ehrlich und zuverlässig galten, also als mit "britischen Charaktereigenschaften" ausgestattet angesehen wurden. Parsis gehörten auch zu den ersten communities, die die Möglichkeiten und Vorteile des westlich-britischen Erziehungssystems nutzten. Das führte dazu, dass die Parsis während der britischen Herrschaft erhebliche Reichtümer anhäufen konnten. Sie wurden so sehr bevorzugt, dass die Parsi-Community als solche die nationale Bewegung nicht unterstützt hat. Ein Großteil der community hätte die Unabhängigkeit lieber vermieden.
Aus Ihrem Theaterstück "Feeding Crows" gewinne ich den Eindruck, dass die Parsi-Community gegenwärtig an zwei Fronten herausgefordert wird – eine Front ist die Globalisierung, die andere Modernisierung?
Ich würde eher sagen, es gibt zwei Krisen für die community. Eine Krise ist, wie man religiöse Rituale gegenwartsorientiert praktizieren kann. Das ist das Hauptthema des Theaterstücks. Die zweite Krise, der sich die community stellen muss, ist, wie sie als Gemeinschaft überleben kann. Gegenwärtig gibt es weniger als 100.000 Parsis weltweit. Selbst die UNESCO hat uns auf eine Liste der gefährdeten communities gesetzt. Und ein großer Teil – über dreißig Prozent – der Parsi-Community ist über sechzig Jahre alt. Das ist eine sehr dringliche Herausforderung für die community. Eine andere Diskussion gibt es in der community über die Frage, ob man Konvertiten erlauben soll. Dürfen "outsiders" in der community akzeptiert werden? Oder akzeptiert man wenigstens die Kinder aus Mischehen? Wenn ein Partner Parsi ist, ist das Kind nur dann in der community erlaubt, wenn der Vater Parsi ist. Ist jedoch nur die Mutter Parsi, wird das Kind nicht zur Parsi community zugelassen. Ich finde das verrückt, denn die Mutter eines Kindes kennt man gewiss, aber bei dem Vater kann man nicht immer sicher sein.
Sie spielen häufig liberale und konservative Auffassungen gegeneinander aus. Würden Sie sich als eine religiöse Rebellin bezeichnen?
Mein eigener religiöser Hintergrund ist sehr gemischt. Meine Eltern ließen sich scheiden als ich acht Monate war. Die Familie meiner Mutter hatte eine Menge traditionell religiöses Erbe im Gepäck. Mein Onkel war der Präsident der anjuman und viele der Verwandten waren aktiv engagiert. Ich wuchs bei meinem Onkel und meiner Tante auf, die kinderlos waren. Sie haben einen sehr großen Einfluß auf mich ausgeübt. Als ich elf Jahre alt war, starb mein Großvater und meine Mutter konvertierte zum Christentum. Sie wurde ein Christian Scientist, und ich wurde pflichtbewusst zur Sonntagsschule gebracht. Als ich in die Pubertät kam, gingen meine Freunde Sonntag früh zu Jam Sessions, während ich zur Sonntagsschule gehen musste. Natürlich entwickelte ich eine Abneigung dagegen und hörte auf hinzugehen. Ich blieb viele Jahre agnostisch. Als ich dann zur Religion zurückfand, war es ein ganz anderer Pfad. Ich fühle mich sehr der Bhagavad-Gita verpflichtet und Ganesha ist mir sehr nah. So ist mein Pfad ein ganz anderer. Es ist keine Frage von liberal oder konservativ.
Religiöse Pluralität war in in Indien oft konfliktreich und auch in Ihrem Stück sehen wir einen Konflikt zwischen Parsi- und Hindu-Nachbarn. War dieser als religiöser Konflikt gedacht?
Dies ist kein religiöser Konflikt. Es ist ein Konflikt zwischen communities. Dafür mag es religiöse Ursachen geben, aber ob man demonstrativ Vegetarier ist oder Nicht-Vegetarier ist vor allem eine Frage der community.
Dann gibt es noch den Konflikt zwischen dem amerikanischen und dem indischen Teil der Parsi-Familie. Haben Sie einen solchen Konflikt real miterlebt?
Nach der Unabhängigkeit haben viele Parsis Indien verlassen. Sie emigrierten nach England, in die USA, Kanada und Australien. Ich wollte einen Charakter darstellen, der liberal ist, sichtbar liberal und aus einem Land kommt, in dem Parsis dem dokhma-System nicht folgen. In den USA werden Parsis bestattet wie jeder andere auch. Rustom ist nicht Teil der community, weil er nicht hier lebt.
Was ist mit Ihrer Bestattung? Wollen Sie eingeäschert werden?
In meiner Familie wurde jeder eingeäschert. Meine Mutter, mein Onkel, mein Cousin, jeder – und ich habe meinen Kindern sehr klar gesagt, dass auch ich verbrannt werden möchte.
Haben Sie besten Dank für das Gespräch.

 

Quellen

  • Pestonji, Meher (2007): Outsider. In: Emerging India. An Anthology of Contemporary Short Stories by Writers from the Indian Subcontinent with Additional Material. Hg. von Rudolph F. Rau. Braunschweig: Diensterweg, S. 44-76.
  • Pestonji, Meher (2006): Sadak Chhaap. New Delhi: Penguin.
  • Pestonji, Meher (2003): Pervez. A Novel. New Delhi: HarperCollins.
  • Pestonji, Meher (1999): Mixed Marriage and Other Parsi Stories. New Delhi: HarperCollins.

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.