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15. Dezember 2005. Interviews: Politik & Recht - Sri Lanka "Wir brauchen dringend konkrete Fortschritte"

Reverend Father A. I. Bernard ist Direktor des 2004 gegründeten Centre for Peace and Human Rights Culture (CEPAHRC) in Jaffna. Er ist katholischer Priester, studierte im indischen Pune und an der University of London, danach lehrte er am Nationalseminar Sri Lankas in Candy. Rev. Fr. Bernard ist Mitglied der Justice and Peace Commission der katholischen Kirche in Sri Lanka und widmet sich in seiner Arbeit insbesondere der Menschenrechtserziehung und der aktiven Friedensarbeit. In dem Interview mit dem Südasien-Informationsnetz äußert er sich zur aktuellen Lage in Sri Lanka nach der Präsidentschaftswahl, zum Friedensprozess und die alltägliche Situation, die er als Menschenrechtsaktivist im Inselnorden täglich erlebt.

Lassen Sie uns auf die neueren politischen Entwicklungen eingehen: Wie beurteilen Sie den Ausgang der Präsidentschaftswahl im letzten November und was könnte dies für den Friedensprozess bedeuten?
Der Friedensfindungsprozess wird erst mal noch schwieriger werden. Der neue Präsident Mahinda Rajapakse arbeitet mit den extrem-nationalistischen Parteien aus dem Süden wie der Janatha Vimukti Peramuna (JVP) und der Jathika Hela Urumaya (JHU) zusammen. Diese Kräfte haben klargestellt, dass der Verteilungsmechanismus (Joint-Mechanism) zur Bewältigung des Tsunamis auszusetzen ist und außerdem wollen sie die Waffenstillstandsvereinbarung in ihrem Sinne überarbeiten. Diese extremistischen Parteien verneinen vehement zwei besonders bedeutsame Punkte, welche den Tamilen besonders wichtig sind: Den traditionellen Heimatlandanspruch der Tamilen und die Anerkennung als eine eigene Nationalität. Durch die Zusammenarbeit bricht der neue Präsident mit der Linie seiner Vorgängerin Chandrika Kumaratunga. Als Reaktion auf seine Politik haben sich die Tamilen zusammengeschlossen und eine eigene Position bezogen. Ich sehe eine Vertiefung der Gegensätze auf beiden Seiten. Wenn die Politik sich in Richtung des einen Extrems bewegt, so kann man erwarten, dass die andere Seite auch sehr harte Positionen einnimmt. Ich weiß nicht genau, was der Standpunkt der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) sein wird, aber im Rahmen der zivilgesellschaftlichen Vertreter haben wir festgestellt, dass wir unsere eigene Position überdenken müssen und konstatieren ein sehr starkes Misstrauen in die politische Führung des Südens.
Dieses Misstrauen führte zu dem Wahlboykott bei den Präsidentschaftswahlen?
Nur teilweise, vielmehr muss man den Wahlboykott jedoch im Kontext der Geschichte seit der Unabhängigkeit Sri Lankas betrachten. Diese wurde von zwei Parteien dominiert, der Sri Lanka Freedom Party (SLFP) und der United National Party (UNP). Der Boykott hat nicht soviel mit ihren jetzigen Führungspersönlichkeiten zu tun. Egal welche Partei an die Macht kam, die Beziehungen und Vereinbarungen zwischen den singhalesischen und tamilischen Führungen wurden nahezu immer belastet - vornehmlich aufgrund politischen Drucks seitens der nationalistisch-singhalesischen Kräfte aus dem Süden der Insel. Und wenn wir die Geschichte betrachten und nun sehen, dass der Präsidentschaftskandidat sich wieder eben jenen Kräften zuwendet und gleichzeitig Kräfte innerhalb der UNP sich mit der Schwächung und Spaltung der LTTE als Ergebnis ihrer Regierungszeit rühmen...
Dies war die Aussage eines ranghohen Parteimitglieds der UNP im Wahlkampf, Milinda Moragoda, der eine wichtige Position bei den Waffenstillstandsverhandlungen 2002/03 innehatte, jedoch nicht des UNP-Spitzenkandidaten Ranil Wickremasinge. Dieser stellte sich doch im Wahlkampf als die Person dar, die prädestiniert für eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses sei?
Das stimmt schon, aber wir dürfen nicht vergessen, dass Wickremasinghe und Moragoda bis heute eng verbunden sind und dass während Wickremasinghes Amtszeit als Premier die Friedensgespräche begonnen und gemeinsame, gleichrangig besetzte Kommissionen eingerichtet wurden. Als die USA Wickremasinghe einluden und er ohne Absprache mit der LTTE in die USA reiste, brach er dadurch die Vereinbarungen des Waffenstillstands und damit auch unser Vertrauen in seine Worte. Wenn er jetzt im Wahlkampf vom Aufbau der Wirtschaft sprach, meinte er vorrangig die Wirtschaft des Südens. Dabei müssen wir bedenken, dass für die Leute im Süden die Unterbrechung des Krieges nahezu Frieden bedeutete, im Norden ist das nicht so, denn dort kehrte nicht die befriedete Normalität wieder. Solange dies nicht so ist, kann man im Norden auch nicht von einem Zustand des Friedens sprechen sondern nur von einer Unterbrechung des Krieges. Im Gegenteil - stattdessen wurden anscheinend Fraktionen und Abspaltungen gefördert. Aber wie gesagt, es waren nicht die zwei Kandidaten, es waren insbesondere auch die Erfahrungen aus der Geschichte, die zum Boykott führten. Leider gab es nie einen konsequenten Ansatz seitens der Regierung, die Beschwerden über die Missstände und Sehnsüchte der Tamilen aufzugreifen oder ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Aber 50 Jahre Konflikt, Krieg, Gewalt, Verluste und Demütigungen sind genug - jetzt sagten wir ihnen durch den Boykott, dass wir wirkliche Veränderungen wollen.
Mahinda Rajapakse machte in seiner Amtsantrittsansprache zumindest doch ein deutliches Gesprächsangebot an die LTTE-Führung?.
Er sagte, dass er mit dem LTTE-Führer Prabhakaran verhandeln möchte - aber was sind die Inhalte, was sind die Bedingungen hierfür? Erstens fordert er, dass wir den Wunsch nach einem tamilischen Heimatland aufgeben sollen und zweitens verneint er die Lösungsmöglichkeiten eines föderalen Verbundes. Alles in allem sagt er, dass er mit uns reden möchte, aber er bietet nichts an. Nach so vielen Jahren des Ringens offeriert er ein "Nichts". Wenn er nicht einmal über den Joint Mechanism für die humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau sprechen möchte, was können wir da von ihm erwarten? Er hat durch die Unterstützung der JVP und der JHU die Wahl gewonnen, wird er sich nun gegen sie stellen und massive Proteste von ihrer Seite hervorrufen wollen? Mann muss das auch mal von einer anderen Seite betrachten: Wenn er über die von diesen Extremisten gezogene Linie schreitet, welche Grenzen würden sie dann eventuell überschreiten? Und solange er auf ihre Unterstützung angewiesen ist, kann er andererseits auch keine Fortschritte erzielen.
Da bleiben nur wenige Handlungsspielräume für ihn und er scheint in einer misslichen Lage zu stecken?
Insbesondere da er sich im Wahlkampf stark gegen seinen Konkurrenten Wickremasinghe positionieren musste, der damit warb, dass er den Friedensprozess wiederbeleben würde. Von der Seite der UNP ist er folglich ebenfalls mit einer starken Opposition konfrontiert. Dies führt natürlich bei so fragilen Machtverhältnissen - neben der Abhängigkeit von den Mehrheitsbeschaffern der extremistischen Kräfte und den Unstimmigkeiten innerhalb seiner eigenen Partei - zu schwierigen Vorraussetzungen. Können wir angesichts dessen auf große Angebote hoffen? Nein, außerdem hatten wir in den letzten Jahren etliche Wahlen und jedes Mal setzte die Regierung nicht an den Punkten an, an denen man gemeinsam aufgehört hatte. Jedes mal gab es einen Schritt zurück und keine kontinuierlichen Fortschritte. Das hat natürlich zu immensen Frustrationen auf der tamilischen Seite geführt.
Wenn Fortschritte auf der politischen Ebene nicht zu erwarten sind, gibt es dafür in anderen Ebenen Bewegung? Die Arbeit im Bereich der Zivilgesellschaft dürfte doch insbesondere in Ihrem Wirkungsfeld sehr wichtig sein?
Die Arbeit von mir wird natürlich auch von den politischen Entwicklungen beeinflusst, aber sie konzentriert sich auf bestimmte, grundliegende Aspekte. Denn wir müssen lernen, unabhängig von den politischen Entwicklungen, in Frieden miteinander zu leben. Ein ganz wichtiger Ansatzpunkt, den ich mit Zentrum für Friedens- und Menschenrechtskultur voranzutreiben versuche, ist der Dialog zwischen den Menschen im Norden und Nordosten und denen im Süden. Das Augenmerk liegt hierbei auf Tamilen und Singhalesen auf dem Grassroots-Level und dem sogenannten Track-2, der Zivilgesellschaft, um dann den Track-1, die Politik, zu beeinflussen. Leider gestaltet sich unsere Arbeit schwierig, unter anderem weil unsere Ressourcen derzeit noch sehr begrenzt sind. Ich bin seit der Gründung unseres Zentrums im Jahr 2004 auf der Suche nach langfristigen Partnerorganisationen, was aber aufgrund des schwellenden Konflikts und der besonderen Situation in Jaffna nicht einfach ist.
Wie sieht es denn mit den Grundbedingungen hierfür aus? Besteht Bewegungsfreiheit für die Menschen zwischen dem Norden und dem Süden?
Die Menschen können sich im Großen und Ganzen seit dem Waffenstillstandsabkommen frei bewegen, natürlich gibt es Beschränkungen, z.B. durch intensive Kontrollen bis hin zu Verhören. Freilich bestehen nicht selten Bedenken und Verdächtigungen. Beide Seiten fürchten sich vor Spionage und anderen Aktionen.
In letzter Zeit scheint die Angst vor gewaltsamen Aktionen gegen die eine oder andere Bevölkerunggruppe bis hin zu möglichen Terroranschlägen stark zu zunehmen und diese Entwicklung mag nicht unbegründet sein?
Da sich auf den oberen Ebenen der Politik nicht viel bewegt, könnte dies zu Frustration und Gewalt führen. Die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte lehrt, dass die Tamilen im Süden schnell Opfer von Gewalt werden können, dies sind natürlich Spekulationen, aber wenn sich die Lage verschlimmern sollte, fürchte ich schlimme Konsequenzen.
Es bestehen ebenfalls doch Konflikte in anderen Bereichen, vor allem im Osten - ich meine die damit die Kämpfe zwischen der Karuna-Fraktion und der LTTE?
Es gibt in der Tat Spannungen. Dies ist ein Bereich in dem Ansätze aus dem Bereich der Versöhnungsarbeit Anwendung finden sollten. Der Faktor Versöhnung (Reconciliation) ist gleichermaßen im Nord-Süd-Konflikt sehr wichtig, wenn auch schwierig zu erreichen. Denn wir dürfen als wesentlichen Punkt nicht vergessen, dass Frieden aus den Herzen kommen muss.
Wie gestaltet sich Ihre normale Lebenssituation in Jaffna, das sich unter Kontrolle der Sicherheitskräfte der Regierung in Colombo befindet?
Man muss dies immer unter zeitlichen Gesichtspunkten sehen, wenn sie von "normal" sprechen. Darum werde ich versuchen, Ihnen den Begriff der "Normalität" des Lebens an den Geschehnissen der letzten zehn Jahre zu erklären: Vor der Unterzeichnung des Waffenstillstands war die Situation sehr schwierig. Nahezu die gesamte Halbinsel Jaffna war evakuiert. Rund 500.000 Menschen sahen sich damals gezwungen, das Gebiet zu verlassen. Bei der großen Offensive der Regierungstruppen 1995 lag die Stadt unter Dauerbeschuss - allein über 6.000 Artilleriegeschosse trafen innerhalb von zwei, drei Tagen die Stadt [Anm: Rev. Fr. Bernard schlägt mit der Hand in gleichmäßigen Takt auf den Tisch: Bum, bum, bum]. Zuvor hatte das Militär verkünden lassen, dass sich die Einwohner in Schulen, Tempeln und Kirchen als sicheren Orten sammeln sollten, aber der Artilleriebeschuss war bei weitem nicht zielgerichtet. Sie trafen alles und sehr viele Menschen starben. Die LTTE beschloss, die Stadt zu evakuieren und forderte die Menschen auf, die Stadt zu verlassen und nach Vanni und Kilinochi zu fliehen. Bei dieser Flucht kam es zu vielen Massakern. Im Frühjahr 1996 hatte sich die Situation in der Stadt beruhigt und die Armee forderte die Bewohner auf heimzukehren. Es folgten drei Monate der relativen "Normalität". Es kam dann zu einem Feuerüberfall auf Soldaten. Das Verhalten der Soldaten gegenüber der Zivilbevölkerung änderte sich schlagartig mit allen Ausuferungen, wie Folterungen, willkürlichen Erschießungen und Vergewaltigungen. Diese Zeit des Terrors hielt bis zum November oder Dezember 1996 an. Dann gelang es uns, Informationen über die Vorgänge nach außen an die Weltöffentlichkeit zu lassen. Danach besserte sich die Situation etwas, aber die Übergriffe fanden weiterhin statt, wenn auch im geringeren Maße.
In welcher Art waren Sie damals in Jaffna aktiv?
An den Checkpoints musste man durch Reihen von Stacheldraht gehen. Wenn Menschen ausrutschten, gab das furchtbare Verletzungen. Wir, ich als Priester der katholischen Kirche und andere Vertreter der Zivilgesellschaft in der Stadt, nahmen Kontakt auf und konnten schließlich das Militär überzeugen, an den Warteschlangen Nylonschnüre statt des Stacheldrahtes zu spannen. Ein weiteres Problem waren Belästigungen der Frauen bei den Kontrollen, auch hier konnten wir teilweise vermitteln. Da ich im Bereich der Erziehung tätig bin, versuchten wir auch den Schulbetrieb aufrecht zu erhalten, was nicht einfach war, da wir viele der notwendigen Unterrichtsmaterialien nicht erhielten. Die Schulbücher kamen nur sehr verspätet an, was es den Schülern sehr erschwert, sich rechtzeitig auf die Prüfungen vorzubereiten.
Und wie lange hielt dieser Zustand zwischen Krieg und etwas Frieden an?
In den späten 1990er Jahren erzielte die LTTE zahlreiche militärische Fortschritte und führte vermehrt erfolgreiche Aktionen - u.a. durch ihre Seestreitkräfte aus, die sogenannte Sea Tigers. Es kam zu vielen Toten auf beiden Seiten. In der Zeit intensivierten sich auch die Kämpfe am Elefantenpass. Es mehrten sich wieder die Granatenattacken in Jaffna und Umgebung. Ende 1999 erklärte die LTTE einen einseitigen Waffenstillstand, dem ungeachtet gab es keine positive Antwort vonseiten der Regierung. Als die LTTE nach ein paar Monaten daraufhin erklärte, dass sie ihren Waffenstillstand nicht verlängern würden, startete das Militär eine Offensive. Das Militär war inzwischen aufgerüstet und offenbar durch ausländische Spezialisten trainiert worden. Sie waren sehr siegessicher, dass sie nun gegen die LTTE einen entscheidenden Schlag ausführen könnten. Allerdings kam es anders und nach drei Tagen mussten sie ihre Offensive abrechen, da sie keinen strategischen Vorteil erringen konnten und erhebliche Verluste erlitten. Im Juli 2000 versuchten sie es noch mal und mussten diesmal nach wenigen Stunden wiederum die Offensive stoppen. In dieser Zeit verschlimmerte sich die Situation in Jaffna wieder erheblich.
Ein Jahr später ereignete sich der Angriff eines Selbstmordkommandos der LTTE auf den Flughafen in Colombo. Wie wirkte sich diese neue Qualität des Bürgerkrieges auf die Situation in Jaffna aus?
Das war wirklich eine neue Entwicklung. Einige Vertreter der Sicherheitskräfte und Politiker des Südens zeigten sich im Nachhinein überrascht, dass die LTTE nicht auch noch den Hafen angegriffen hat. Das hätte die Wirtschaft Sri Lankas nahezu zum Erliegen gebracht. Ich habe Vertreter der LTTE einmal gefragt, warum sie damals nicht am Elefantenpass die Offensive des Militärs umgewendet haben. Sie antworteten mir, dass sie eine Lösung ohne großes Blutvergießen finden wollten. Hätten sie damals versucht, Jaffna zu erobern, würden wir heute bestimmt nicht mehr über eine "Stadt" sprechen. Es wird häufig gesagt, die LTTE sei blutrünstig, diese Aussage scheint dagegen zu sprechen.
Kurz danach kam es doch zu den Waffenstillstandsverhandlungen?
Da ereigneten sich dann viele Fortschritte - die Situation verbesserte sich glücklicherweise wieder. Unter anderem konnte nun der politische Arm der LTTE in den von Regierung kontrollierten Gebieten agieren. Schließlich wurde die Fernstraße über den Elefantenpass wiedereröffnet und die Märkte in Jaffna geradezu über Nacht von Waren überflutet.
Warum benutzen Sie das negativ besetzte Wort "überflutet"?
Es gab zwei unglückliche Entwicklungen: Erstens die Gewinne daraus flossen nicht der lokalen Wirtschaft in Jaffna zugute. Die Stadt wurde ein Marktplatz für Händler und ihre Waren von außerhalb und es gab keine Reinvestitionen. Zweitens die Bevölkerung der Halbinsel Jaffna setzt sich traditionell zu 60 Prozent aus Menschen mit eher landwirtschaftlicher Herkunft und zu 30 Prozent aus Fischern zusammen, die letzten 10 Prozent sind im Dienstleistungsbereich angesiedelt. Die Ackerflächen sind aber nur begrenzt nutzbar, da viele Felder vermint oder aus anderen Gründen nicht mehr nutzbar sind. Auch die Fischergemeinde ist aufgrund zahlreicher Restriktionen schwer angeschlagen. Ein Großteil der Wirtschaft liegt noch immer brach.
Die Grundversorgung scheint jedoch wenigstens zu funktionieren?
Es gab etliche Verbesserungen seit dem Waffenstillstand, aber die Lage ist sehr angespannt. Vor dem Krieg versorgten die Fischer der Halbinsel Jaffna ein Drittel des gesamten Landes mit Fisch, davon sind wir heute sehr weit entfernt. Um die Lage der Fischer zu verdeutlichen: Allein an der Küstenlinie der Stadt Jaffna müssen über 250 Fischerhäuser aufgrund von Sicherheitsbestimmungen leerstehen. Die Bewohner mussten bei ihren Verwandten oder anderswo unterkommen. Die Wohnsituation in der Stadt ist sehr angespannt - das sorgt für sehr, sehr viele Probleme, insbesondere im sozialen und familiären Bereich.
In welchen Bereichen bestehen außerdem Probleme in Jaffna?
Ein sehr wichtiger Punkt ist die Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Wir haben in Jaffna traditionell eine sehr gute Bildungsrate. In diesem kleinen Gebiet gibt es allein 350 Schulen. Das Schulwesen ist jedoch seit den 1970er Jahren stark gebeutelt worden, aufgrund verschiedenster Gründe, auch rechtlicher Art. Dann die Folgen des Krieges, die Zerstörungen und rund 40 Schuleinrichtungen sind bis heute nicht zu ihrem eigentlichen Zwecke nutzbar, da Militär und Sicherheitskräfte in diesen Gebäuden stationiert sind. Die Schulbücher erreichen uns noch immer mit erheblicher Verspätung, was wie gesagt wenig erfreuliche Auswirkungen auf den Unterricht und die Prüfungsleistungen hat, die überall im Land zeitgleich abgehalten werden müssen. Im Bereich der naturwissenschaftlichen Fächer haben wir sehr große Probleme an die nötigen Stoffe und Apparaturen zu kommen.
Wie stark ist die Präsenz der Sicherheitskräfte spürbar?
Es kommt darauf an, wie die aktuelle Situation gerade ist. Wenn Menschen aus dem Süden zu uns kommen, drücken sie häufig ihre Gefühle so aus, dass sie sich wie in einem besetzen Territorium fühlen und selten zuvor soviel Militär und Checkpoints erlebt haben. Die Präsenz ist im Alltag schon sehr stark spürbar.
Was bestimmt auch nicht gerade deeskalierend wirken dürfte?
Meine Befürchtung ist Folgende: Früher wichen die Zivilisten den Uniformen aus, dies hat sich jedoch in letzter Zeit verändert. Seit kurzem mehren sich Zwischenfälle, bei denen Einwohner der Stadt auch Soldaten lynchen oder Militärposten in Brand setzen.
Manche Beobachter sprechen auch von der Gefahr einer "Intifada" in Jaffna...
Ja, mir sind solche Entwicklungen in letzter Zeit häufig aufgefallen, insbesondere nach den Querelen um den Joint-Mechanism. Die Menschen wollten in Lager der Sicherheitskräfte eindringen. LTTE-Vertreter mussten die Leute stoppen und davon abhalten. Ich sprach mit den Menschen und fragte nach dem nächsten Schritt, wenn sie erst einmal gegen die Militärs vorgingen. Wie würden sie auf eine harte Reaktion der Soldaten reagieren wollen? Die Stimmung ist sehr angespannt.
Und wie ist die Stimmung insbesondere unter den Jugendlichen?
Sehr ernst und frustriert. Vor allem aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit, aber auch durch die politische Frustration. Hierbei geht es sowohl um Jobs als auch Würde. Mich würde es nicht wundern, wenn viele von ihnen sich in Kürze den LTTE-Kräften anschließen.
Gibt es eventuell auch Anzeichen eines Generationskonfliktes?
Nein. Jaffna ist eine sehr eng verflochtene Stadt. Die Beziehungen der Menschen untereinander sind sehr komplex. Jeder weiß, wo der andere steht und was der andere denkt. Wenn ein Mitglied der LTTE getötet wird, ist das für nahezu jeden, als wenn ein Mitglied seiner Familie getötet wurde. Die tamilische Gemeinschaft ist hier sehr geschlossen.
Ich dachte dabei auch eher an einen stärkeren Grad der Radikalisierung, an jugendlichen Heißsporn?
Dies kommt natürlich vor, aber dann sollte man von Gegensätzen zwischen den Jugendlichen und älteren Mitgliedern der Zivilgesellschaft sprechen. Trotzdem konnten wir in verschieden Fällen eine Eskalation verhindern. Manchmal kommen Vertreter der einen oder der anderen Seite zu mir und meistens kann ich die Menschen von einer vernünftigen Lösung überzeugen.
Ein Thema sollten wir nicht aussparen: den Tsunami. Inwieweit betraf er Jaffna?
Mehr als 3.000 Menschen starben, einige Dörfer auf der Halbinsel Jaffna wurden komplett zerstört. Es war furchtbar, hauptsächlich im Osten und ebenfalls am nördlichen Ende unserer Halbinsel. Viele Menschen leben noch in den notdürftigsten Notunterkünften, die staatliche Hilfe lässt größtenteils auf sich warten. Die meisten Fortschritte haben in dieser Gegend NGOs und andere Helfer wie beispielsweise die deutsche GTZ erreicht.
Kommt der Aufbau in den von der Regierung gehaltenen Gebieten mit tamilischer Mehrheit vielleicht langsamer voran als in den mehrheitlich singhalesischen Gebieten?
Normalerweise würde man dies vermuten können, aber in diesem Fall haben mit Sicherheit überall Bevölkerungsteile Grund zur Beschwerde, auch im Süden. Es liegt halt an grundliegenden Problemen: Im System der Bürokratie und der Politik. Davon sind Singhalesen und Tamilen gleichermaßen betroffen.
Gibt es Ansätze zu gemeinsamen Protesten von Tamilen und Singhalesen?
Bisher kaum, aber man arbeitet lokal im Bereich der Hilfe zusammen. Die LTTE unterstützt Muslime in ihren Gebieten und die Armee hilft wiederum andernorts Tamilen. Man kann schon eine Menge guten Willen konstatieren - und umso trauriger ist es, dass man sagen muss: Die Regierung hat es nicht vermocht dies zu nutzen und einen Nutzen in Richtung Konfliktbeilegung daraus zu schlagen.
Wir haben somit eine weiterhin sehr vertrackte Situation, aus der es offenbar nicht so bald einen Ausweg geben wird. Zudem scheinen die Vermittlungsversuche von außerhalb, insbesondere der Norweger, unter massiver Kritik vonseiten der nationalistischen Kräfte im Süden zu stehen?
Es bläst den internationalen Vermittlern in der Tat ein sehr starker Wind entgegen. Auf Demonstrationen der JVP wurden vor der norwegischen Botschaft die Fahnen des skandinavischen Landes verbrannt, ein Bild das wir bisher eher von brennenden US-amerikanischen Flaggen auf Kundgebungen gewohnt sind. Die Androhung der EU, die LTTE auf die Liste der Terrororganisationen zu setzen und Vertreter der LTTE mit einem Bann zu belegen, würden die Mediationsbemühungen in vielen Bereichen erschweren.
Müsste man in diesem Fall nicht nach anderen Staaten - vielleicht auch in der Region - suchen, die eine mögliche Vermittlerrolle ausüben könnten?
Das gestaltet sich sehr schwierig. Rajapakse versucht Indien dafür zu gewinnen. New Delhi ist bei weitem nicht unabhängig in diesem Konflikt und ihnen gegenüber bestehen hegemoniale Befürchtungen in vielen Bereichen der Bevölkerung. Nicht nur auf der Seite der Tamilen. Ich denke nicht, dass eine stärkere Einbindung Indiens eine gute Option wäre und ich glaube auch nicht, dass es ein Interesse an einer besonders hervorgehobenen Vermittlerrolle hat. Der Konflikt ist sehr kompliziert und wirkt sich natürlich bis nach Indien hinein aus, so kurzsichtig sind sie nicht.
Das sind alles keine guten Aussichten: Ein andauernder Konflikt ohne große Fortschritte, eine Regierung, die unter massiven Druck von Rechtsaußen steht und zunehmend in Bedrängnis geratene Vermittler. Die Zeit scheint momentan gegen mögliche Schritte in Richtung einer friedlichen Konfliktlösung zu arbeiten?
Es ist sehr wichtig, dass wieder Bewegung in den Verhandlungsprozess kommt. Wir brauchen dringend konkrete Fortschritte. Allerdings bin ich derzeit ziemlich pessimistisch. Ich befürchte, dass sich der Konflikt kurzfristig wieder zuspitzen wird. Sollte es so kommen, wäre ich jedoch optimistisch, dass der Krieg nicht lange andauern würde. Auf einem hohen Grad der Eskalation würde es nur kurze Zeit dauern. Aber was kommt danach? Insbesondere bin ich derzeit pessimistisch gegenüber der Gewalt, die diesmal bei einem erneuten Krieg in einem noch stärkeren Ausmaße die Zivilbevölkerung treffen und sehr viel Leid hervorrufen würde. Letztendlich wird man nicht an einer Lösung vorbeikommen.
Rev. Fr. Bernard wir danken Ihnen für das Gespräch.

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