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Seit den Anschlägen auf das World Trade Center vom 11. September 2001 ist die Taliban-Regierung, als Gastgeber Osama Bin Ladens und des terroristischen Netzwerks Al-Qaida ins Zentrum des internationalen Medieninteresses geraten und seit dem 7. Oktober erstes militärisches Angriffsziel der Amerikaner und Briten im "internationalen Kampf gegen den Terrorismus".
Doch auch schon vor dem 11. September haben die Taliban, mit ihrer radikalen Auslegung des islamischen Rechts für Aufsehen gesorgt. Spätestens mit der Zerstörung der Buddhastatuen von Bamiyan, welche auch in muslimischen Ländern zu Protesten führte, isolierte sich das Regime der Taliban gänzlich. Obwohl die Taliban erst 1994 auf der Bildfläche des afghanischen Bürgerkriegs erschienen, gelang es ihnen in kürzester Zeit, zur dominanten politischen Kraft im Lande zu werden und ihre Kontrolle auf 90% des Territoriums auszudehnen. Dennoch ist wenig über sie bekannt, und selbst von ihrem Anführer Mullah Omar gibt es nur ein einziges unscharfes Foto. Die Lückenhaftigkeit der Informationen bietet viel Spielraum für Spekulationen, Zerrbilder und Mythenbildung. Daher versucht der folgende Beitrag eine Annäherung an das Phänomen Taliban.
Seit 23 Jahren befindet sich Afghanistan in einem Bürgerkrieg. Ausgangspunkt dieses Bürgerkrieges war die Machtübernahme der marxistisch-leninistischen Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) im Jahr 1978. Die Revolutionsregierung der DVPA verfolgte das Ziel, das ethnisch, religiös und tribal äußerst heterogene Land in einen sozialistischen Staat umzuwandeln. Ihre gewaltsame Reformpolitik stieß jedoch auf starken Widerstand, der schließlich zu Aufständen im Lande führte. Als Folge darauf kam es im Dezember 1979 zum Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan, die sich seitdem darum bemühten die Regierungsautorität in allen Teilen des Landes wiederherzustellen.
Ein anfänglich spontaner, dann im breiten Bündnis zusammengefasster Widerstand gegen die kommunistische Regierung und die sowjetische Besatzungsmacht wuchs rasch an. Seit 1980 kämpften, kollektiv als Mujaheddin (ursprünglich eine Bezeichnung für den islamischen Glaubenskämpfer im Heiligen Krieg) bezeichnet, verschiedene regionale Gruppen innerhalb Afghanistans gegen die sowjetische Besetzung. Der Widerstand wurde dabei nicht nur über die mehr als 3 Millionen Flüchtlinge in Pakistan, sondern vor allem auch über die Unterstützung anderer Staaten (darunter besonders der USA) gefördert. Die massive ausländische Hilfe führte zu einer Dominanz der islamistisch orientierten Gruppen und verdrängte den in ländlichen Traditionen wurzelnden, unabhängigen Widerstand. Nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen 1989 dauerte es bis zum April 1992, bis die Mudschaheddin mit dem Sturz der kommunistischen Regierung unter Präsident Nadschibullah auch die letzte sowjetische Einflussnahme beseitigen konnten. Nach Nadschibullahs Sturz geriet der Machtkampf zwischen den nunmehr zerstrittenen Gruppen des ehemaligen afghanischen Widerstandes immer mehr außer Kontrolle. Viele Gebiete des Landes verfielen in Anarchie und gelangten unter die Kontrolle sog. Warlords. Plünderungen, Vergewaltigungen und andere Gewalttaten standen auf der Tagesordnung.In diesem Kontext bildete sich im Herbst 1994 aus Studenten fundamentalistischer Koranschulen (Madrassas) in Pakistan, welche der Bewegung auch ihren Namen gaben, die neue Miliz der "Taliban" (Talib, Plural Taliban, bezeichnet in Sprachen der islamischen Welt den Studenten religiöser Quellen).
Im Sommer 1994, so die Legende, welche die Taliban über ihre Entstehung verbreiten, soll Mullah Mohammed Omar, ein ehemaliger Mudschaheddin-Kommandeur, im Traum eine Vision erhalten haben: er sei dafür ausersehen in Afghanistan eine "wahre islamische Ordnung" zu errichten. Aus Empörung über den Verrat der sich gegeneinander bekriegenden Mudschaheddin am Islam soll er noch im selben Jahr 33 Gleichgesinnte um sich gesammelt und in seiner Heimat Maiwand, in der Nähe von Kandahar, die De Talibano Islami Ghurdzang-Tahrik (Islamische Bewegung Taliban) ins Leben gerufen haben. Nach dieser Darstellung machten sie es sich zur Aufgabe, die Willkür- und Gewaltherrschaft der Warlords in Afghanistan zu beenden und einen rigoros islamischen Staat zu errichten, in dem Ordnung und Frieden herrsche. Sehr bald hätten sich ihnen viele gleichgesinnte Taliban angeschlossen. Der rasche Erfolg der Bewegung wird von den Taliban mit der Verbreitung des Islam im Zuge der Auswanderung des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina verglichen. Somit wird auch für Mullah Omar eine analoge Funktion reklamiert, wie sie einst Muhammad hatte.
Ausgangspunkt des militärischen Siegeszug der Taliban war die ländliche Umgebung der südostafghanischen Stadt Kandahar, der Hochburg der Durrani-Paschtunen. (Die Paschtunen sind in Afghanistan die zahlenmäßig stärkste ethnische Gruppe (40%) und gliedern sich in zwei große Stammeskonföderationen: die Durrani und die Ghilzai.) Nach der Einnahme Kandahars im November 1994 rückten die Taliban seit Anfang 1995 in nördlicher Richtung in die paschtunischen Ghilzai-Gebiete vor. Dort liefen zahlreiche Einheiten ehemaliger Mudschaheddin geschlossen zu den Taliban über. Viele der lokalen Kommandeure wurden dabei mit beträchtlichen Geldzahlungen auf die eigene Seite gezogen.
Im Februar 1995 nahmen die Taliban die Stadt Maidan Shahr und Tschahrasyab, das Hauptquartier Gulbuddin Hekmatyars, dem Anführer der Hezb-e Islami (Islamische Partei Afghanistans), ein. Sie beherrschten damit zu diesem Zeitpunkt bereits neun der 31 Provinzen des Landes.
Im März 1995 schalteten die Taliban in der Region Kabul mit der schiitischen (pro-iranischen) Hezb-e Wahdat-e Islami (Partei der Islamischen Einheit Afghanistans) einen ihrer wichtigsten Gegner aus und ermordeten deren Führer Abdul Ali Mazari.
In einer neuen Offensive seit September 1995 eroberten sie die Städte Farah und Herat im Westen (der Kommandeur Herats, Ismail Khan, floh in den Iran) und dehnten damit ihr Einflussgebiet erstmals über die paschtunischen Stammesgebiete aus. Die Offensive konnte auch nicht von dem neuen, gegen die Einkreisung Kabuls gerichteten Bündnis zwischen Burhanuddin Rabbani, dem Ende 1992 gewählten Präsidenten, und seinem ehemaligen Erzrivalen Gulbuddin Hekmatyar aufgehalten werden. Statt dessen fielen den Taliban einige östliche Provinzen (Nangarhar und Kunar) widerstandslos zu, so dass sie schließlich am 27. September 1996 die Hauptstadt Kabul einnehmen konnten. Die Truppen der Regierungsallianz unter Rabbani flohen vor dem Einzug der Taliban in den Norden des Landes.
Als Reaktion auf die Eroberung Kabuls und das weitere Vorrücken der Taliban, schlossen sich die Milizen General Dostums (dem Oberkommandierenden der usbekisch dominierten Dschonbesch-e Melli (Nationalen Bewegung)) mit den Truppen Rabbanis, Hekmatyars sowie den schiitischen Hazara (Hezb-e-Wahdat) zur Nationalen Islamischen Einheitsfront zur Befreiung Afghanistans, der sog. Nordallianz zusammen. Der neuen Allianz gelang es zunächst, den Vormarsch der Taliban zu stoppen und ihrerseits zu neuen Angriffen auf Kabul überzugehen. Im Juni 1997 machte das Überlaufen von Abdul Malik, einer der Generäle und engsten Vertrauten Dostums, zu den Taliban die Brüchigkeit der Machtverhältnisse im Norden deutlich und erlaubte es den Taliban die Stadt Mazar-i-Sharif nahezu kampflos einzunehmen. Die Besetzung der Stadt durch die Taliban dauerte jedoch nur kurz. Malik kündigte das Bündnis mit den Taliban bereits einige Tage später wieder auf, und ein Aufstand, vorwiegend getragen von Kämpfern der Schiiten und Tadschiken sowie der Stadtbevölkerung, zwang die Taliban, sich unter großen Verlusten aus Mazar-i-Sharif zurückzuziehen.
Obwohl die Nordallianz zunehmend in rivalisierende Parteien zerfiel, war Ende 1997 der Norden wieder unter Kontrolle der Taliban-Gegner. 1998 belagerten die Taliban das zentralafghanische Bergland Hazarajat, um die schiitische Bevölkerung unter Kontrolle zu bringen und begannen im August des selben Jahres eine großangelegte Offensive gegen den Norden, mit dem Ziel den von Ahmad Schah Massud, kontrollierten Gebieten im Nordosten den Nachschub abzuschneiden. Massud, auch bekannt als der "Löwe aus dem Pandschirtal", führte bis zu seiner Ermordung im September 2001, den militärischen Arm der Jamiat-e-Islami, den Shura-ye Nazar (Kontrollrat). Im August 1998 nahmen die Talibanmilizen Mazar-i-Sharif ein und richteten grausame Massaker unter den Hazara an – nach Schätzungen der UN wurden bis zu 6.000 Menschen getötet. Nicht nur die Massaker an den schiitischen Hazara, sondern auch die Ermordung acht iranischer Diplomaten bei der Eroberung führten zu massiven Spannungen zwischen dem Iran und Afghanistan. Anstatt die Lage mit dem Iran zu entschärfen und auf die zunehmende internationale Kritik einzugehen, gingen die Taliban zum Angriff auf Bamiyan über. Die Stadt wurde am 13. September 1998 eingenommen. Der Iran sah in der Einnahme Bamiyans eine weitere Provokation und reagierte mit Kriegsdrohungen sowie umfangreichen Truppenaufmärschen im Grenzgebiet. Erst mit der Entsendung des UN-Beauftragten Lakhdar Brahimi nach Afghanistan, der am 14. Oktober 1998 mit Mullah Omar zusammentraf, wurde die Gefahr eines Krieges abgewandt. Das Verhältnis der internationalen Gemeinschaft gegenüber den Taliban blieb jedoch weiterhin angespannt und führte am 15. Oktober 1999 zu der Verhängung von Sanktionen durch den UN-Sicherheitsrat. Die Sanktionen wurde Anfang des Jahres 2001 verschärft.
Nach mehreren erfolglosen Offensiven im Jahr 1999 und Anfang 2000, gelang es den Taliban am 5. September 2000 nach einer einmonatigen Belagerung und mit Unterstützung der pakistanischen Luftwaffe die Stadt Taloqan, das politische Hauptquartier der Nordallianz, einzunehmen. Massud und seine Truppen sowie mehr als 150.000 Bewohner der Stadt und der Umgebung flohen in Richtung Norden. Mit der Einnahme Taloqans und einiger weiterer Städte an der afghanisch-tadschikischen Grenze war es den Taliban gelungen der Nordallianz ihre letzte über Land verlaufende Nachschublinie abzuschneiden.
Bis zu den Attentaten vom 11. September ändert sich am Verlauf der Fronten zwischen den Taliban und der Nordallianz nur wenig.
Für den raschen Vormarsch der Taliban spielte anfänglich ein gewisser Rückhalt in der Bevölkerung eine wichtige Rolle. Das Auftreten der Taliban als "Ordnungsmacht" wurde von der kriegsmüden Bevölkerung unterstützt. Vielerorts wurde die Bewegung von den Menschen als nationale Friedensstifter begrüßt. Die Entwaffnung der Bevölkerung und die Einführung des islamischen Rechtskodex (Scharia) in einer auf paschtunische Stammestraditionen (Pashtunwali) zurückgehenden, besonders rigiden Auslegung wirkte besonders im ländlich-traditionalen Süden stabilisierend. In den Städten mit liberaler und moderner Tradition und in den nicht-paschtunischen Gebieten traf das Vorgehen der Taliban dagegen auf Widerstand. Bereits mit der Ermordung Mazaris, den massiven Raketenangriffen auf Wohngebiete Kabuls und nicht zuletzt der öffentlichen Erhängung Nadschibullahs bei der Einnahme der Stadt hatten sich die Taliban, auch in den Augen vieler Afghanen, diskreditiert und verfehlten ihren Anspruch, sich in der Wahl ihrer Mittel von ihren Gegner zu unterscheiden.
Viel wichtiger als der anfängliche Rückhalt in der Bevölkerung war jedoch die massive militärische, finanzielle und logistische Unterstützung durch Pakistan für den Erfolg der Taliban. Die Einmischung des Nachbarlandes in den afghanischen Bürgerkrieg begann jedoch nicht erst mit der Unterstützung der Taliban, sondern reicht in die Zeit des afghanischen Widerstandes gegen die sowjetische Besetzung zurück, als Pakistan zum Frontstaat des Westens im Kalten Krieg wurde. Bis 1994 hatte die pakistanische Regierung hauptsächlich auf die Hezb-i-Islami unter Hekmatyar gesetzt, um ihre Interessen im Afghanistankonflikt durchzusetzen.
Zu den pakistanischen Zielen in Afghanistan gehört neben der Einsetzung einer pro-pakistanischen Regierung in Kabul, zur Erlangung "strategischer Tiefe" gegenüber dem Erzfeind Indien, auch die Herstellung stabiler Verhältnisse im Land, um Zugang zu den zentralasiatischen Märkten und Energievorkommen zu erhalten. An sicheren Transitrouten hat vor allem die einflussreiche pakistanische Transportmafia mit ihren Kontakten zu Regierung, Militär und Geheimdienst ein großes Interesse. Da die massive Unterstützung Hekmatyars für Pakistan keine überzeugenden Ergebnisse zeigte, wurden ab 1994 die Taliban gefördert und gezielt als militärische Kraft aufgebaut. Der pakistanische Geheimdienst Inter Service Intelligence (ISI), war zumindest bis 1996 mitverantwortlich für die Einsatzplanung und die logistische Unterstützung der Taliban-Truppen. Weiterhin spielte er eine zentrale Rolle für die wechselseitige Vernetzung der Religionsschulen, den sog. Madrassas. Knapp ein Jahr nach der Einnahme Kabuls, am 25. Mai 1997, erkannte Pakistan als erster Staat die Taliban-Regierung an.
Die zentralen pakistanischen Förderer der Taliban, unter ihnen Nasirullah Khan, bis 1996 Innenminister unter Benazir Bhutto, sind allesamt Paschtunen. Unter den pakistanischen Parteien steht besonders die Jamiat Ulema e Islam (JUI) den Taliban nahe. Gleichzeitig kann sie, als Partei in der sich Religionsstudenten und -gelehrte der sunnitischen Deobandi-Tradition vereinen, auch als Vorbild der Taliban bezeichnet werden.
Neben der pakistanischen Hilfe haben die Taliban bis Ende der 90er auch wesentliche finanzielle und politische Unterstützung durch Saudi Arabien erhalten, welches neben Pakistan und den Vereinigten Arabischen Emiraten das einzige Land war, welches die Taliban als offizielle Regierung Afghanistans anerkannte. Saudi Arabien hat einerseits ein ideologisches Interesse an einer Verbreitung der streng sunnitisch orientierten wahabitischen Islaminterpretation in Zentralasien, andererseits ein geopolitisches Interesse an der Ausweitung seines Einflussbereiches. Die saudische Hilfe wurde jedoch angesichts der Differenzen mit den Taliban wegen der Beherbergung des saudischen Terroristen Osama Bin Laden und auf den starken Druck seitens der Vereinigten Staaten zunehmend reduziert.
Ob und wenn ja, in welcher Form die USA an der Förderung der Taliban beteiligt waren, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Das Gewicht des amerikanischen Ölkonzerns Unocal, welcher Afghanistan als Transitland für eine geplante Erdgaspipeline nutzen will und daher Interesse an stabilen Verhältnissen im Land hat, könnte anfangs die amerikanische Politik gegenüber den Taliban mitbestimmt haben. Fest steht jedoch, dass die US-Regierungen seit 1997 eindeutig auf Distanz zu den Taliban gegangen sind und deutliche Kritik an ihrer frauenfeindlichen Politik und den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen geübt haben - nicht zuletzt als Reaktion auf den massiven Druck der amerikanischen Frauenrechtslobby.
Nach der Einnahme Kandahars im Oktober 1994 wurde in der Stadt das neue Macht- und Entscheidungszentrum der Taliban etabliert, an dessen Spitze Mullah Omar als Amir al-Mu’minin (Herrscher/Oberhaupt der Gläubigen) steht. In Kandahar tagt mit der zentralen Shura (Rat) das Führungszentrum der Talibanfraktion. Zum engen Kreis dieses Gremiums gehören zehn Männer; an den Beratungen der Shura nehmen aber auch Militärkommandeure, Stammesälteste und Ulema (Religionsgelehrte) teil, so dass, das weitere Umfeld aus bis zu 50 Männern besteht.
Nach der Einnahme Kabuls riefen die Taliban im November 1997 das "Islamische Emirat Afghanistan" aus. In der Stadt wurde eine sechsköpfige Shura eingerichtet, die mit den alltäglichen Regierungsgeschäften, der Verwaltung der Stadt und der militärischen Front vor Kabul befasst ist. Kandahar blieb jedoch weiterhin der Sitz der Führungs-Shura und Mullah Omars, welcher die Stadt seitdem erst ein einziges mal verlassen haben soll. Beide Gremien stehen in ständigem Kontakt miteinander. Alle Entscheidungen der Kabuler Shura, müssen vorher nach Kandahar übermittelt und dort "abgesegnet" werden. Da selbst kleinere Bestimmungen erst nach Konsultationen mit der Kandahar-Shura getroffen werden können, ziehen sich Entscheidungsprozesse stark in die Länge.
Fast die gesamte Führung der Taliban besteht aus Durrani-Paschtunen. Auch nachdem die Taliban ihren Einflussbereich auf nicht-paschtunische Gebiete ausgedehnt hatten, wurde an der Zusammensetzung der beiden Shuren nichts geändert, so dass die Taliban-Führung in keiner Weise, die ethnische und tribale Heterogenität der afghanischen Bevölkerung repräsentiert.
Neben den beiden Gremien in Kandahar und Kabul haben die Taliban in den Städten Gouverneure eingesetzt, deren politischer Handlungsspielraum jedoch gering ist. Hinzu kommt, dass die Gouverneure in regelmäßigen Abständen auf andere Posten im Lande versetzt werden, oder als Militärkommandeure an die Front beordert werden. Dies soll verhindern, dass sich im Lande unter einzelnen Gouverneuren lokale Machtbasen bilden können.
Über die militärische Organisation der Taliban ist sehr wenig bekannt. Mullah Omar ist der Leiter der Streitkräfte. Eine Militär-Shura besteht zwar, jedoch hat dieses lockere Gremium keine wirkliche strategische Entscheidungsgewalt. Die militärische Strategie, die Verteilung von Geldern und alle anderen wichtigen Beschlüsse werden im unmittelbaren Umfeld Omars getroffen. Eine klare Struktur und Hierarchie scheint es in der Armee ebenfalls nicht zu geben.
Die Gesamtzahl der Kämpfer beläuft sich auf ca. 45.000 Mann. Darunter sind zwischen 8.000 und 12.000 keine Afghanen, sondern Freiwillige und Söldner aus Pakistan, den arabischen Staaten und anderen islamischen Regionen. Die Taliban sind jedoch in der Lage kurzfristig ein hohe Zahl an Kämpfern zu mobilisieren. Weiterhin verfügen die Streitkräfte der Taliban über ein Arsenal aus Waffen, die fast ausschließlich aus alten sowjetischen Beständen herrühren. Dazu gehören laut Schätzungen des Institute of Strategic Studies in London ca. 650 Panzerfahrzeuge, darunter 100 T-55- und T-62-Panzer, 76 Flugzeuge, darunter 15 Kampfjets (MiG-21 und SU-22) und 5 MI-35 Helikopter, Mehrfachraketenwerfer (sog. Stalinorgeln), SAM-7- und Stinger-Raketen, Granatwerfern und Artillerie.
Die einfachen Kämpfer, das Fußvolk der Taliban, rekrutiert sich fast ausschließlich aus den Madrassas. Die Koranschulen befinden sich größtenteils in den paschtunisch dominierten Provinzen Afghanistans und Pakistans, besonders in der North West Frontier Province und in Belutschistan. Während des Kalten Krieges dienten die Schulen dazu, die Absolventen auf den Kampf gegen den Kommunismus vorzubereiten. Die Madrassas wurden dabei unter dem Regime Zia ul-Haqs gefördert und erhielten finanzielle Unterstützung von Saudi-Arabien, Großbritannien und den USA. Die Schulen nahmen in erster Linie Kinder aus armen Familien und von sog. Märtyrern (im Dschihad gefallenen Kämpfern) auf. Der Großteil der 15- bis 30-jährigen Schüler sind Flüchtlinge, die im Krieg aufgewachsen sind und oft weder ihre Heimat noch ihre Eltern kennengelernt haben. In den Religionsschulen leben die "Studenten" unter extrem harten, asketischen Bedingungen. Der Unterricht besteht fast ausschließlich im Auswendig lernen des Korans, so dass viele der Absolventen Analphabeten bleiben. Neben der religiösen Unterweisung erhalten die Schüler auch eine militärische Ausbildung, die hauptsächlich vom ISI und dem pakistanischen Grenzschutz organisiert wurde.
Anders als muslimische Bewegungen in anderen Ländern besitzen die Taliban faktisch ein eindimensionales Programm: die Durchsetzung einer "wahren", "reinen" Form des Islams, der sich auf eine 1400 Jahre zurückliegende Zeit beruft. In diesem Zusammenhang sind die Taliban im Westen vor allem durch ihre zahlreichen Verletzungen der Menschenrechte, die Zerstörung der Buddhastatuen von Bamiyan und die Kennzeichnungspflicht für Nichtmuslime ins Blickfeld geraten. Besonders die repressiven Maßnahmen gegenüber den afghanischen Frauen, darunter die Schließung von Mädchenschulen, das Verbot für Frauen, Geld zu verdienen und ohne männliche Begleitung auf die Straße zu gehen, die Verpflichtung die Burka zu tragen, sowie die rigide Anwendung des islamischen Strafrechts haben heftige internationale Proteste hervorgerufen und - gefördert durch die westlichen Medien - nicht selten zum Aufbau eines "Feindbildes Islam" beigetragen.
So wird der Islam, als Synonym für die Politik der Taliban, als grundsätzlich unvereinbar mit dem Westen und seinen Werten angesehen. Aber: nicht der Islam als solcher missachtet die Menschenrechte, sondern seine begrenzte, paschtunisch geprägte, fanatische Auslegung durch die Taliban. So wird auch von vielen moslemischen Staaten die radikale Interpretation des Koran und der Scharia durch die Taliban, als eine Verzerrung verurteilt. Inwiefern und ob sich die zahlreichen von den Taliban erlassenen Verbote, wie z.B. der Rasur von Männern, das Spielen von Kindern auf der Strasse, das Musizieren, die Benutzung von Radio und Fernsehen etc., aus einem islamischen Kontext ableiten lassen, ist fraglich. Die Vorschriften der Taliban sind gleichzeitig eingebettet in das ländliche Wertesystem des Südens Afghanistans und folglich stark durch den paschtunischen Stammeskodex, den Pashtunwali, geprägt.
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