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31. Mai 2002. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Friedensverhandlungen in Andhra Pradesh

Seit die maoistische People’s War Group am 10. Mai 2002 einen Waffenstillstand ausgerufen hat, hält sich auch Andhra Pradeshs Polizei mit der Bekämpfung der Untergrundkämpfer zurück. Die folgenden Gespräche zwischen Regierung und Rebellen waren jedoch schon nach wenigen Tagen festgefahren.

Die mit der Legalisierung einhergehende Aufwertung von Sri Lankas LTTE zum offiziellen Verhandlungspartner der Regierung scheint auch indische Guerilleros zu beflügeln: Die People’s War Group (PWG) erklärte am 10. Mai 2002, für zunächst einen Monat auf Angriffe zu verzichten, und bot der Landesregierung Verhandlungen an, in deren erster Runde sie die Aufhebung ihres Verbots forderte. Dies sei zur "Verbesserung der Gesprächssituation" nötig. Die Regierung beharrte darauf, dass die Naxaliten - wie maoistische Rebellen in Indien genannt werden - zuvor die Waffen niederlegen müssten. Damit waren die Gespräche am 9. Juni gescheitert. Dennoch wollen beide Seiten am 20. Juni weiter verhandeln und bis dahin auf Gefechte verzichten.

Das Verhandlungsangebot der PWG folgte mehreren Erklärungen der Landesregierung, die seit Anfang des Jahres unverbindlich Gespräche angeboten hatte. Für die kommenden Verhandlungen sicherte sie den Unterhändlern der PWG freies Geleit zu. Als möglicher Gegenstand weiterer Gespräche gilt die Einrichtung eines haltbaren Waffenstillstands und die Freilassung inhaftierter Naxaliten. Zentrale Forderungen wie Landreformen, die Abschaffung der weiterhin existenten Schuldknechtschaft und die Entmachtung von Großgrundbesitzern, die jenseits des staatlichen Gewaltmonopols ganze Dörfer kontrollieren, werden dann wohl noch nicht angegangen werden.

Auch wenn der Konflikt eine ähnlich lange Geschichte wie der im Norden Sri Lankas hat - seit den 1940er Jahren griffen im Dekhan immer wieder kommunistische Bewegungen zu den Waffen, seit 1980 kämpft die PWG im Untergrund - kann die Guerilla nicht annähernd aus einer solch starken Position verhandeln wie die LTTE. Sie verfügt weder über ein stabiles Herrschaftsterritorium noch über Streitkräfte im engeren Sinne. Sie operiert in ganz Andhra Pradesh, kontrolliert jedoch nur einige entlegene Gebiete in Telengana im Norden und in den Gebieten der Ureinwohner - Adivasis - entlang der Grenze zu Orissa. Ihre Kämpfer greifen in Guerillataktik Polizeistationen und Infrastruktureinrichtungen an. Daneben vertreiben und töten sie Großgrundbesitzer und andere "Klassenfeinde". In den letzten Monaten verübten sie außerdem Anschläge auf internationale Unternehmen, um die von Chiefminister Chandrababu Naidu vorangetriebene Anwerbung ausländischer Investitionen zu torpedieren. In vielen Gebieten des Bundesstaates, besonders im Rayalaseema im Süden, operieren zahllose - auch rein kriminelle - Banden unter dem Label der Naxaliten.

Die Landesregierung hatte in den vorangegangenen Jahren versucht, den 1980 von der PWG initiierten Aufstand allein mit Repression zu lösen. Sowohl die bis Anfang der 1980er Jahre dominante Congress (I), als auch die seither (außer 1991-94) regierende Telugu Desam Party haben ihre Machtbasis vor allem unter Reddies und Kammas, Groß- und Mittelbauern in den fruchtbaren und dichtbesiedelten Küstenebenen. Chiefminister Chandrababu Naidu trieb neben der Liberalisierung allerdings auch Entwicklungsprojekte - vor allem zur Bewässerung - im ariden Landesinneren voran. Dies jedoch um den Preis einer enorm gestiegenen Verschuldung und im Rahmen einer populistischen Politik als "Vertreter des kleinen Mannes".

Die vagen Hoffnungen auf eine Verhandlungslösung sind besonders einer unabhängigen Friedensinitiative zu verdanken, die seit drei Jahren zwischen Regierung und Rebellen vermittelt. Sprecher des Committee of Concerned Citizens ist S.R. Sankaran, ein ehemaliger Referatsleiter des zentralen Beamtenapparats Indian Administrative Service, unter dessen Leitung 1970 eine wegweisende Verordnung verabschiedet wurde, die den Boden in allen Stammesgebieten Andhras den Adivasis zuspricht, solange keine gegenteiligen Besitztitel nachgewiesen werden können. Das Komitee fordert von den Maoisten, Angriffe auf Polizeiangehörige einzustellen und die Einschüchterung der Bevölkerung zu beenden. Die Polizei soll aufhören, unter dem Vorwand Naxaliten zu bekämpfen, ganze Dorfgemeinschaften anzugreifen oder zu vertreiben. Die Regierung wird aufgefordert, die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen, damit die linksradikale Bewegung gewaltlos an der politischen Auseinandersetzung teilnehmen kann: Sie soll die Kriminalisierung der PWG und ihrer Symphatisanten schrittweise aufheben und Maßnahmen gegen staatlich geduldete Knechtschaft ergreifen.

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