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31. Juli 2001. Nachrichten: Politik & Recht - Südasien Neue US-Regierung plant Überprüfung ihrer Südasien-Politik

Mit einer Reihe von Besuchen hochrangiger Vertreter der neuen US-Regierung in Südasien kündigte sich in den vergangenen Monaten ein Ausbau der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Indien an.

Offensichtlich plant Präsident George W. Bush, der bereits im April eine Einladung nach New Delhi angenommen hatte, die Fortsetzung des außenpolitischen Kurswechsels, den Amtsvorgänger Bill Clinton mit seiner historischen Südasien-Reise vom vergangenen Jahr eingeleitet hatte. Auf dem Prüfstand stehen dabei auch die Sanktionen, die 1998 nach den Nukleartests gegen Indien und Pakistan verhängt worden waren.

Fünf Monate war das Referat für Südasien-Angelegenheiten im US-amerikanischen Außenministerium ohne Führung, nachdem Karl Inderfurt, Bill Clintons Mann für die Region, seinen Hut nehmen musste. Am 1. Juni 2001 war es schließlich soweit: Nach intensiven Anhörungen und der Bestätigung durch den Kongress konnte Christina Rocca als neue Assistant Secretary of State for South Asian Affairs vereidigt werden.

Die aus Washington D.C. stammende Historikerin kennt die Materie: Von 1982 bis 1997 diente sie bei der CIA und war an Operationen in Afghanistan beteiligt. Nach dem Ende ihrer Geheimdienstarbeit wurde sie außenpolitische Beraterin des republikanischen Senators Sam Brownback. An der Seite Brownbacks, des Vorsitzenden im Senatsausschuss für den Nahen Osten und Südasien, war sie federführend bei der Ausarbeitung von verschiedenen die Region betreffenden Gesetzesvorlagen, unter ihnen die Ermächtigung des Präsidenten, die Sanktionen gegen Indien und Pakistan unter gegebenen Umständen aufzuheben.

Mit dem Verweis auf Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und Drogenhandel begründete Rocca während der Kongressanhörungen die "vitalen Interessen" der USA in der Region. Darüber hinaus erinnerte sie an die knapp zwei Millionen US-Bürger mit südasiatischen Wurzeln. Sie begrüßte Indiens "neuen globalen Status" und erklärte die Bereitschaft der Bush-Regierung, die Transformation der bilateralen Beziehungen abzuschließen und zu wirtschaftlicher, politischer und militärischer Partnerschaft zu finden.

Der Einweihung ihres Büros folgte der Antrittsbesuch Roccas in Südasien. Vom 22. Juli bis zum 3. August bereiste sie Indien, Nepal und Pakistan. In New Delhi erklärte sie bei Gesprächen mit Außen- und Verteidigungsminister Jaswant Singh und dem Nationalen Sicherheitsberater Brajesh Mishra, dass Washington auf eine Führungsrolle Indiens bei der Sicherung der regionalen Stabilität hoffe und sagte eine Überprüfung der Sanktionen durch die Bush-Regierung zu. Darüber hinaus lobte sie die Bemühungen um eine Entspannung der indo-pakistanischen Beziehungen und kommentierte die Unfähigkeit beider Seiten, das Gipfeltreffen in Agra mit einer gemeinsamen Abschlusserklärung zu beenden, mit den Worten: "Es braucht mehr als drei Tage, um 50 Jahre Misstrauen zu überwinden."

Den positiven Tönen im Bereich der strategischen Zusammenarbeit zum Trotz äußerte Rocca deutliche Kritik in wirtschaftlichen Fragen. Vor Industrievertretern machte sie eine "protektionistische" Handelspolitik, das schlechte Investitionsklima und den "mangelnden Schutz des geistigen Eigentums" für das vergleichsweise geringe Volumen des indo-amerikanischen Handels verantwortlich. Deutliche Worte fand sie im Hinblick auf den Streit zwischen dem amerikanischen Energie-Giganten Enron und dem indischen Unionsstaat Maharashtra und forderte die Zentralregierung zum Eingreifen auf. Enron hält die Mehrheit der Anteile an der Dabhol Power Company, die mit 2,9 Milliarden US-Dollar für ein 2.184 MW-Kraftwerk die bisher größte Einzelinvestition in Indien tätigt. Mit der Weigerung der Landesregierung von Maharashtra, den Strom zu den gegenwärtigen Preisen abzunehmen, ist das Überleben des Großprojektes nun in Frage gestellt.

In Pakistan fand Rocca zwar lobende Worte für das alte Bündnis mit den USA, verwies aber auf Hindernisse für die bilaterale Kooperation durch die Nukleartests und den Militärputsch. Zwar versprach sie auch ihren Gesprächspartnern in Islamabad die Freigabe von Hilfen für die "Stärkung demokratischer Institutionen, Rechtstaatlichkeit, das Bildungssystem und wirtschaftliche Reformen". Für die vollständige Aufhebung der Sanktionen sei aber eine Rückkehr zur Demokratie notwendig. Im Gespräch mit Militärdiktator Pervez Musharraf gratulierte sie diesem zu seiner Reise nach Agra. Außerdem begrüßte sie seine Zusage, bis Oktober 2002 Wahlen abzuhalten, pochte aber auf ein Ende der Repressionen gegen politische Parteien.

Vorausgegangen waren der Reise der neuen Staatssekretärin die Indien-Besuche von Richard Armitage, dem stellvertretenden US-Außenminister, und Henry Shelton, dem ranghöchten US-Soldaten und Vorsitzenden der militärischen Stabschefs. Armitage war am 12. Mai, dem dritten Jahrestag von Indiens Nukleartests, als einer der ersten Vertreter der Bush-Regierung nach New Delhi gereist, um Indien neben den Bündnispartnern der USA sowie Russland und China über die Pläne für ein Nationales Raktenabwehrsystem (NMD) zu informieren. Er ergriff die Gelegenheit, um die Besorgnis der USA über die Entwicklung eines Nukleararsenals durch Pakistan zum Ausdruck zu bringen, vermied aber die Erwähnung von Indiens Atomwaffen.

Im Vorfeld hatte die indische Regierung im Gegensatz zu den weltweit kritischen Stimmen geradezu euphorisch auf Bushs Rede vom 1. Mai reagiert, in der er angekündigt hatte, das NMD mit einer einseitigen Reduzierung des Nuklearwaffenarsenals zu verknüpfen. Damals ließ das indische Außenministerium erklären, dass das Programm ein "äußerst bedeutsamer und weitreichender" Schritt sei, um Abschied zu nehmen von dem "konfrontativen Erbe des Kalten Krieges". Es bezeichnete Bushs Vorschlag als "eine strategische und technologische Unvermeidbarkeit" auf dem Weg "zu einem kooperativen defensiven Übergang, der von einer weiteren Verringerung und Deaktivierung von Nuklearwaffen begleitet sein muss." Nur wenige Monate zuvor hatte Außenminister Singh noch gewarnt, dass die Pläne der USA Indiens Sicherheitsprobleme vergrößern würden, da sie China veranlassen könnten, modernere Waffen zu entwickeln. Singhs Washington-Besuch vom April, den er als "Beginn einer neuen Ära" feierte, schien seine Meinung geändert zu haben. US-Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice hatte während der Visite erklärt: "Indien ist bereit am Tisch der großen Nationen Platz zu nehmen."

Auch General Henry Shelton schmeichelte während seines Besuchs in der dritten Juli-Woche, kurz vor der Ankunft von Staatssekretärin Rocca: "Indien ist eine Großmacht mit globalem Einfluss, und ich hoffe, dass wir eine enge militärische Zusammenarbeit erreichen." Wichtigstes Ergebnis seiner Gespräche mit Außen- und Verteidigungsminister Singh, Sicherheitsberater Mishra und hohen Militärs war die Wiederbelebung des bilateralen Military Planning Body. Der in diesem Organ stattfindende Austausch über die militärische Zusammenarbeit und die strategischen Planung war nach den Nukleartests vor drei Jahren eingefroren worden.

Offensichtlich ist die neue US-Regierung, die einen härteren Kurs gegenüber der Volksrepublik China angekündigt hat, nach allen Kräften bemüht, Indien als strategischen Partner in Asien aufzubauen. Für dieses Ziel scheint sie auch bereit, sich von der bisherigen Linie zu verabschieden und Indiens alte Forderung nach Anerkennung einer "minimalen nuklearen Abschreckung" als Preis zu akzeptieren. Wie weit die Vajpayee-Regierung mit ihrer Annäherung an die "einzige Weltmacht" angesichts der starken innenpolitischen Widerstände und dem Streben des alten Bündnispartners Russland nach einer multipolaren Weltordnung allerdings zu gehen bereit ist, wird sich erst zeigen müssen.

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