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01. November 2009. Nachrichten: Politik & Recht - Pakistan Krieg auf Pump

Offensive mit ungewissem Ausgang in den Stammesgebieten

Während die pakistanische Armee eine Offensive mit ungewissem Ausgang gegen die Jihadisten in den Stammesgebieten startet, überziehen die Gotteskrieger das Land mit Terroranschlägen. Die USA knüpfen ihre Finanzhilfe künftig an Bedingungen und stoßen damit auf Widerstand im pakistanischen Machtapparat.

Kriege kosten nicht nur Menschenleben, sondern auch Geld – und bei diesem hört bekanntlich die Freundschaft auf. Zwar wird seitens der US-Regierung stets betont, dass Pakistan der wichtigste Verbündete in der Region sei, jedoch ist aus Washington zunehmend Kritik zu vernehmen. Immer wieder wurden dem Land in den vergangenen acht Jahren finanzielle Hilfen in Milliardenhöhe gewährt, Schulden erlassen und umfangreiche Militärtechnik geliefert. Mit der erbrachten Gegenleistung scheint man eher unzufrieden zu sein. Lange Zeit ließen Pakistans politische Kräfte und das Militär die Jihadisten in der Grenzregion zu Afghanistan unbehelligt, stattdessen verstrickten sie sich in Machtkämpfe und sicherten sich ihre Anteile an Kriegssold und Hilfsgeldern. Die Armee rüstete sich mit neuen Technologien für die konventionelle Kriegsführung aus, investierte in die Modernisierung des pakistanischen Rüstungssektors und kurbelte den Export pakistanischer Waffen an.

Im US-Kongress steigt merklich das Unbehagen über den eigensinnigen Waffenbruder, weshalb die Abgeordneten für das in diesem Herbst vorgelegte "Hilfspaket" ein eigenes Gesetz ("Kerry-Lugar Bill") verabschiedeten. Demnach werden die je 1,5 Milliarden US-Dollar für zivile Entwicklung, die Pakistan fünf Jahre lang erhalten soll, an Bedingungen gebunden. Diese beinhalten unter anderem eine effektivere Terrorismusbekämpfung, mehr Demokratisierung, stärkere Kontrolle des Militärs und eben auch der pakistanischen Waffenlieferungen.

Diese Forderungen stießen in Pakistan auf wenig Gegenliebe. Sowohl aus dem Umkreis der einflussreichen Armeeführung als auch der politischen Opposition wurde dies als eine nicht hinnehmbare Einmischung kritisiert. In den pakistanischen Medien meldete sich wieder einmal jene Fraktion aus hoch dekorierten Pensionären des Militärs und der Sicherheitsdienste zu Wort, welche die "Arroganz der US-Regierung" kritisierten, schließlich bezahle Pakistan seit Jahren einen hohen Blutzoll für deren Kriege. Zustimmung erhielten sie dabei auch von den islamistischen Parteien. Senator Muhammad Ibrahim von der Jamaat-e-Islami (JI) sah sich bestätigt, dass "Amerika nie ein Freund Pakistans gewesen sei". Als bekannt wurde, dass der pakistanische Botschafter in Washington, Husain Haqqani, beratend an der Ausarbeitung des Gesetzes beteiligt gewesen sein soll, lief Makhdoom Hayat von der oppositionellen PML-Q zur Hochform auf und sprach fortan nur noch vom "Kerry-Haqqani-Bill".

Die umstrittenen Rahmenbedingungen des "Hilfspakets" wurden zum Politikum – die achtstündige Debatte darüber in der Nationalversammlung in Islamabad artete in wüste Schreiereien aus. Der Regierung unter Führung der Pakistanischen Volkspartei (PPP) drohte ein Gesichtsverlust. Am 14. Oktober reiste Außenminister Makhdoom Qureshi nach Washington und traf dabei auf einen recht schmallippigen John Kerry, dem er seine Bedenken vortrug. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im US-Senat betonte danach, dass "nichts in diesem Gesetz Pakistans Souveränität beeinträchtigt". Qureshi war erfreut darüber, dass man nun "gemeinsam daran arbeite, dem Gesetz die richtige Interpreta­tion zu geben", und bekam dafür eine gemeinsame Stellungnahme von Amerikas Repräsentantenhaus und Senat in Aussicht gestellt, die zeigen solle, "wie viel Respekt man für die pakistanischen Verbündeten" hege. Präsident Barack Obama unterzeichnete noch am selben Tag das Gesetz. Qureshi erhielt das Versprechen einer raschen Auszahlung der Hilfsgelder und der baldigen Lieferung von Militärgütern im dreistelligen Millionenbereich.

Die Debatte um die Hilfsgelder war jedoch vermutlich nicht der Hauptgrund für die USA-Reise Qureshis. Kurz nach seiner Rückkehr erteilte die pakistanische Regierung dem Militär den Marschbefehl zur Offensive in den Stammesgebieten, und sicherlich hat diese neue Eskalation sowie deren Absegnung durch die Administration Obamas den wichtigsten Teil der Gespräche in Washington eingenommen. Die Armeeführung um General Ashfaq Kayani sprach pathetisch vom Beginn der "Mutter aller Schlachten".

Eine Streitmacht von rund 30.000 Soldaten versucht, den Tehrik-i-Taliban Pakistan (pakistanische Taliban, TTP), den mit ihnen verbündeten lokalen Milizen und ausländischen Gotteskriegern in der Stammesprovinz Südwaziristan ein Ende zu bereiten. Der Einmarsch in das Gebiet, das etwa die halbe Größe Hessens hat, hatte sich schon länger angekündigt. Nachdem die Armee im Mai halbwegs siegreich aus der offenen Konfrontation mit den Jihadisten in der Swat-Region hervorgegangen und Anfang August der TTP-Führer Baitullah Mehsud bei einen Angriff einer raketenbestückten Drohne gestorben war, marschierte das Militär an den Grenzen des Herrschaftsbereichs der stärksten Terrormiliz auf.

Allerdings spielten beide Seiten erst mal auf Zeit. Regierung und Armeeführung warteten ab, ob sich die nun kopflosen TTP reorganisieren oder zerfallen würden. Die pakistanischen Taliban konnten jedoch recht schnell ihre Nachfolgestreitigkeiten klären. Mit Hakimullah Mehsud setzte sich jene Fraktion durch, die vor der offenen Konfrontation mit dem Staat nicht zurückschreckt. Zwischen den TTP und einigen afgha­nischen Taliban sowie ihren internationalen Kampfesbrüdern sollen wiederum Meinungsverschiedenheiten über das weitere Vorgehen herrschen, da sie die Waziristan-Region bislang verhältnismäßig ungestört als Rückzugsgebiet nutzen. Man bereitete sich gemeinsam auf den Empfang des staatlichen Räumkommandos vor.

Als Hakimullahs Bruder Kalimullah Ende September bei einem Luftangriff im benachbarten Nordwaziristan starb, sann der TTP-Führer auf Rache. Am 5. Oktober wurde der Sitz des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen, unter anderem wichtig für die Versorgung von Flüchtlingen, Ziel eines Selbstmordanschlags. Eine Woche später griffen in Uniformen der Grenztruppen gekleidete Taliban das Armee-Hauptquartier in Rawalpindi an und nahmen Dutzende Geiseln. Spätestens nach diesem Angriff mussten die Generäle handeln, wollten sie nicht vollends als Feiglinge dastehen. Seit dem Beginn der Offensive überziehen die Terroristen das Land mit einer Welle von Anschlägen. Polizeieinrichtungen in Lahore und Peschawar, aber auch die Islamische Universität Islamabad wurden zu Zielen auserkoren. Über 200 Menschen starben seitdem bei den fürchterlichsten Anschlägen in der Geschichte Pakistans. Am Donnerstag voriger Woche wurde mit Brigadegeneral Moeen Haider erstmalig ein hochrangiger Militär ermordet. Die Attentäter eröffneten in der Hauptstadt Islamabad von einem Motorrad das Feuer auf sein Fahrzeug.

Ob das Militär die Waziristan-Offensive vor dem nahenden Wintereinbruch für sich entscheiden kann, erscheint fraglich. Bislang entziehen sich die schätzungsweise 12.000 Gotteskrieger meist dem offenen Gefecht. Qari Hussain, der als Kopf der Selbstmordkommandos der TTP gilt, frohlockt schon, dass "nun das ganze Land als Kampfgebiet" gilt.

 

Quellen

Der Beitrag erschien im Original am 29. Oktober 2009 in der Wochenzeitung Jungle World 44/2009.

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