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15. März 2004. Nachrichten: Politik & Recht - Afghanistan Warum eine weitere Afghanistan-Konferenz

Vom 31. März bis zum 1. April 2004 findet in Berlin die dritte internationale Afghanistankonferenz unter dem Titel "Afghanistan und die internationale Gemeinschaft – eine Partnerschaft für die Zukunft" statt. Hatte die erste Afghanistankonferenz auf dem Petersberg bei Bonn im November 2001 einen Fahrplan in den Frieden und die Einrichtung einer Übergangsregierung erreicht, diente die zweite Afghanistankonferenz im Dezember 2002 dem Bekenntnis der internationalen Gemeinschaft, Afghanistan weiterhin zu unterstützen. Die entscheidende Frage ist, ob die dritte Konferenz richtungweisende Akzente setzt oder lediglich eine Veranstaltung des guten Willens darstellen wird.

Empfehlungen

  • Verbindliche Zusagen der internationalen Gemeinschaft für eine langfristige Unterstützung des wirtschaftlichen und politischen Aufbaus Afghanistans.
  • Trennung von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Bestimmung eines realistischen Datums für die Präsidentschaftswahlen und Durchführung der Parlamentswahlen erst Ende 2004.
  • Komplexere und angepasste Konzepte, um den Anbau von Drogen zu bekämpfen, die Milizionäre zu reintegrieren und das Problem des Kriegsfürstentums zu überwinden.
  • Stärkere Einbeziehung der ländlichen Regionen, vor allem des Süden des Landes, in den Wiederaufbau.
    Verbesserung der Koordinierung des internationalen Engagements auf der operativen Ebene.

Die Afghanen setzen viel Hoffnung in diese Konferenz. Der Bonner Fahrplan in den Frieden endet mit den Wahlen, die für Juni 2004 vorgesehen sind. Viele Afghanen befürchten gerade vor dem Hintergrund der prekären Sicherheitslage und dem Wiederaufleben der Taliban, dass die internationale Gemeinschaft mit diesen Wahlen eine Exit-Strategie einleiten könnte, um sich ohne großen Gesichtsverlust aus Afghanistan zurückzuziehen. Diesen Bedenken muss die internationale Gemeinschaft entgegentreten, wenn es ihr mit der Bekämpfung des Terrorismus ernst ist: Es gilt zu zeigen, dass sie trotz eines schleppenden Wiederaufbaus und vieler Rückschläge bereit ist, Afghanistan kontinuierlich und verlässlich auf dem Weg in den Frieden zu unterstützen. Diesbezüglich sollte die internationale Gemeinschaft deutlich machen, welchen finanziellen und politischen Rahmen sie Afghanistan in der Zukunft zubilligen will. Klare Finanz- und Unterstützungszusagen für einen konkreten Zeitraum sind genauso wichtig wie eine klare Rollenbestimmung im Prozess des Wiederaufbaus.

Die Afghanistan-Konferenz in Berlin hat sich drei Schwerpunkte gesetzt: Politischer Wiederaufbau, Verbesserung der Sicherheitslage und ökonomischer Wiederaufbau. Alle drei Themenbereiche sind unweigerlich miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig.

Politischer Wiederaufbau

Bezüglich des politischen Wiederaufbaus dürfte das wesentliche Thema der Berliner Konferenz die Wahlen im kommenden Juni sein. Vieles spricht gegen die Einhaltung des vorgegebenen Zeitplans: Die Wählerregistrierung läuft nur schleppend an und Ende Februar waren erst zehn Prozent der Wähler erfasst. Auch ist noch offen, ob Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gleichzeitig abgehalten oder ob die Parlamentswahlen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden sollen. Die unterschiedliche Brisanz und Bedeutung sowie der unterschiedliche Vorbereitungsbedarf beider Wahlen sprechen dafür, sie getrennt voneinander durchzuführen.

Die Präsidentschaftswahlen sind dabei weniger problematisch. Denn neben Hamid Karzai, der seine Präsidentschaft in den letzten zwei Jahre nutzte, um seine Macht und Popularität zu festigen, hat sich noch kein gleichwertiger Gegenkandidat aufgestellt. Karzai vermochte es, die internationalen Wiederaufbauleistungen unweigerlich mit seinem Namen zu verbinden. Im Klartext: Wird Karzai im Präsidentenamt nicht bestätigt, droht die Gefahr, dass sich das internationale Engagement drastisch verringert. Auch zog Karzai auf der verfassungsgebenden Loya Jirga im Dezember 2003 erstmals die paschtunische Karte: Daher gilt es als wahrscheinlich, dass das Gros der Paschtunen, die die numerisch größte ethnischen Gruppe darstellen, ihn wählen werden. Bezüglich der Präsidentschaftswahl sollte die Berliner Konferenz genutzt werden, um ein neues, realistisches Datum festzulegen, damit die Wählerregistrierung noch abgeschlossen werden kann. Jedoch ist das Zeitfenster klein. So drängt US-Präsident George W. Bush darauf, die afghanischen Wahlen vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November 2004 stattfinden zu lassen. Denn zur Rechtfertigung des von den USA geführten Krieges gegen den Terrorismus, der durch die Ereignisse im Irak immer stärker in Frage gestellt wird, benötigt die Bush-Administration eine Erfolgsmeldung.

Die eigentliche Herausforderung für den politischen Wiederaufbau Afghanistans stellen die Parlamentswahlen dar. Die prekäre Sicherheitslage behindert die Durchführung freier und fairer Wahlen. So besteht die Gefahr, dass die Warlords die Stimmenabgabe in ihren Herrschaftsgebieten diktieren. Auch ist das Fehlen demokratischer Parteien ein wesentliches Manko. Da Klientelismus und Verwandtschaft die politische Zuordnung bedingen, gibt es in Afghanistan so viele politische Parteien wie Clans und Meinungsführer. Schließlich besteht die Gefahr, dass die Wahlen ethnisiert werden. Denn zu wenig sind die führenden Machthaber in der Lage, ethnische Barrieren zu überwinden, und zu groß ist die Versuchung, über eine ethnische Polarisierung Stimmen auf sich zu vereinen. Allein die Islamisten um die Allianz des Tadschiken Burhanuddin Rabbani und des Paschtunen Abdul Rasul Sayyaf vermögen es, diese ethnische Grenze zu überbrücken. Dies eröffnet jedoch eine weitere Gefahr der Wahlen. Denn Rabbani und Sayyaf sind für die schwerste Kriegszeit in den Jahren 1992 bis 1994 und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich zu machen. So kann bezweifelt werden, dass ein gutes Abschneiden dieser Kräfte der jungen, noch sehr zerbrechlichen afghanischen Demokratie förderlich ist. Aufgrund dieses hohen Konfliktpotentials sollten die Parlamentswahlen möglichst gut vorbereitet sein, was bei einem späteren Termin eher gewährleistet werden könnte. Allerdings sollte dabei die verfassungsmäßig erlaubte Jahresfrist nicht ausgeschöpft werden, damit die ohnehin starke Stellung des Präsidenten nicht durch das fehlende legislative Korrektiv noch weiter ausgebaut wird.

Verbesserung der Sicherheitslage

Der zweite Schwerpunkt der Berliner Konferenz liegt auf dem Problem der mangelhaften Sicherheitslage, die Fortschritte im politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau gefährdet. Afghanistan entwickelte sich in den vergangenen Monaten zu einem geteilten Land: Die anhaltenden Kämpfe zwischen den von den USA geführten militärischen Kräften von Enduring Freedom und den Neo-Taliban verwandelten den Süden des Landes in eine Kampfzone. In der Nordhälfte dominieren zudem unzählige Warlords, die über eigene Milizen verfügen, Schutzzölle erheben und sich gegenüber der Regierung völlig unabhängig geben. Die Entmilitarisierungs- und Wiedereingliederungsprogramme von Ex-Kombattanten zeigten bislang nur bescheidene Erfolge. So erhielten Milizionäre für die Abgabe ihrer Waffen mehr Geld als diese im Basar kosten. Eine verbesserte Sicherheitslage und ein verringertes Gewaltpotential werden zudem nicht alleine durch das Einsammeln von Waffen erreicht, sondern durch die zusätzliche gesellschaftliche Wiedereingliederung der Kombattanten. Neben der beruflichen Reintegration kann die Eingliederung der Milizionäre in die Gesellschaft nur erfolgen, indem deren soziale Abhängigkeit von ihren Kommandanten verringert wird. Dabei gilt es zudem zu beachten, dass arbeitssuchende Zivilisten nicht benachteiligt werden. Auch sollte auf der Berliner Konferenz über die Aufgaben der zivil-militärischen Wiederaufbauteams in den Provinzen (Provincial Reconstruction Teams - PRTs) nachgedacht werden. So ist es dringend erforderlich, dass die überwiegend militärisch ausgerichteten PRTs – ähnlich wie in Kabul – durch Patrouillen Präsenz zeigen und sich auf originäre Sicherheitsaufgaben konzentrieren (z.B. Demilitarisierung; Konversion), die nicht mit der bereits bestehenden Entwicklungsarbeit kollidieren.

Wirtschaftlicher Wiederaufbau

Der wirtschaftliche Wiederaufbau stellt den letzten Schwerpunkt der Afghanistankonferenz dar. Die afghanische Übergangsverwaltung erwartet eine verbindliche Zusage über einen substanziellen Beitrag der internationalen Gebergemeinschaft für die nächsten Jahre. Dabei hat sie sich allerdings schon von ihrem Ansatz verabschiedet, über den Verweis auf höhere Pro-Kopf-Leistungen für andere Länder unrealistische Maßstäbe zu setzen. Ausgaben von etwa 250 US-Dollar pro Kopf und Jahr, wie sie in Ost-Timor, Ruanda oder im Kosovo geleistet wurden, entsprächen einem Einsatz von 5,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr für Afghanistan. Die Übergangsverwaltung verbindet mittlerweile ihre Wiederaufbauziele mit den im September 2000 auf dem Milleniumgipfel der Vereinten Nationen verabschiedeten Millenium Development Goals. Gegenwärtig versucht das Finanzministerium unterstützt von Weltbank, Asian Development Bank, IMF, UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan) und UNDP (United Nations Development Programme) diesen Ansatz budgetär umzusetzen. Ganz gleich, wie hoch die Summe letztlich sein dürfte – eine umfassende Analyse der Bedürfnisse sowie eine regional und sektoral bestimmte Schwerpunktsetzung muss ihr zu Grunde liegen. Denn bisher stellen – trotz verschiedener Abstimmungsversuche – der unkoordinierte und schleppende Wiederaufbau des Landes und dessen regional ungleicher Verlauf ein wesentliches Problem dar. In den letzten zwei Jahren verfestigten sich in Afghanistan zudem Parallelstrukturen, die eine Vergeudung von Ressourcen bedingen: So verfolgen die afghanische Regierung, die Vereinten Nationen, die PRTs und die Hilfsorganisationen jeweils eigene Interessen, was sich in einer mangelnden Abstimmung und Koordinierung, dem Fehlen übergreifender Konzepte und in der Dopplung von Projekten niederschlägt. Die Rahmensetzung für eine verbesserte operative Abstimmung und eine eindeutige Federführung wären daher wünschenswerte Ergebnisse der Berliner Konferenz.

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor sehr angespannt. Selbst Regionen, die als relativ ruhig und sicher gelten, sind vor dem plötzlichen Ausbruch gewaltsamer Konflikte nicht gefeit. So brachen jüngst in Herat, das in den vergangenen zwei Jahren als Hort der Stabilität und des Aufschwungs galt, Kämpfe aus, nachdem Mirwais Sadiq, Luftfahrtminister und Sohn des Gouverneurs Ismail Khan, ermordet wurde. Auch führte die unterschiedliche Sicherheitslage zu einer ungleichen regionalen Verteilung internationaler Hilfsprogramme und in letzter Konsequenz zu einer eklatanten räumlichen Ungleichentwicklung. Kabul und Herat stellen echte boomtowns dar, während das übrige Land von der wirtschaftlichen Entwicklung weit weniger profitiert. Besonders problematisch ist die Situation im Süden des Landes. Dort verfolgen die Neo-Taliban seit ungefähr einem Jahr die Strategie, Attentate auf Mitglieder, Büros und Fahrzeuge von internationalen Organisationen durchzuführen. Dies bedingte einen völligen Stillstand der Entwicklungsaktivitäten in Südafghanistan. So droht eine Spaltung des Landes in eine sich langsam entwickelnde Nord- und in eine stagnierende Südhälfte. Auf der Berliner Tagung sollten daher Strategien entwickelt werden, wie diese räumliche Disparität überwunden werden kann. So ist zu überlegen, ob im Süden des Landes Projekte notfalls unter Militärschutz durchgeführt werden sollten. Kooperationsanreize sollten in Zukunft zudem primär auf den Wiederaufbau des Landes und weniger auf die Unterstützung beim Kampf gegen den Terrorismus ausgerichtet werden. In diesem Zusammenhang muss sich die internationale Gemeinschaft fragen, wie sie mit den Warlords umgehen will. Statt diese für politische Manöver zu belohnen, wie es in den letzten Jahren oftmals der Fall war, sollten realistische Strategien entwickelt werden, das Problem des Kriegsfürstentums zu überwinden. Da ein stärkeres militärisches Engagement der internationalen Gemeinschaft kaum zu erwarten ist, bleibt allein die Möglichkeit mit einer Politik des „Zuckerbrot und Peitsche“ aus Warlords „Peacelords“ zu machen. So sollten auf der einen Seite klare Regeln festgelegt werden, die an eindeutige Sanktionen gebunden sind, auf der anderen Seite sollten den Warlords konkrete Zukunftschancen aufgeführt werden, die keine erheblichen ökonomischen Einbussen oder einen Gesichtsverlust mit sich bringen.

Ein Haupthindernis ist die Dominanz von Bürgerkriegsökonomien,  und hierbei insbesondere der Opiumanbau und –handel: Zwei Drittel des weltweiten Opiums stammen aus Afghanistan. Der Anbau von Schlafmohn stellt für viele Bauern die einzige Überlebensstrategie dar. Bisherige Versuche der Drogenbekämpfung in Afghanistan zeigten, dass ein „Herauskaufen“ der Bauern nur eine Ausdehnung der Anbauflächen zur Folge hatte. Ein wesentliches Problem besteht darin, dass das Wissen über die Strukturen, Abhängigkeiten und Abläufe der Opiumwirtschaft gering ist. Daher ist es notwendig komplexere Konzeptionen zu entwickeln, die die lokalen Gesellschaftsstrukturen weitaus angemessener berücksichtigen und sich den Bedürfnissen der Bevölkerung besser anpassen. Die Propagierung alternativer Anbaufrüchte (z.B. Safran) und die Schaffung von lukrativen Absatzmöglichkeiten für diese Alternativprodukte sollte in diesem Konzept ein genauso wesentlicher Baustein sein wie die Hervorhebung islamischer Wertevorstellungen, die den Anbau von Opium als unmoralisch brandmarken.

Mit der demokratisch legitimierten Übernahme der Regierungsverantwortung im kommenden Sommer steht Afghanistan vor einer weiteren entscheidenden Etappe auf dem langen Weg in den Frieden. Insofern ist der Zeitpunkt der Afghanistan-Konferenz gut gewählt, um das weitere Vorgehen und internationale Engagement zu koordinieren. Die internationale Gemeinschaft macht mit dieser Initiative deutlich, dass sie Afghanistan weiterhin auf diesem Weg unterstützen möchte. Damit sich die Konferenz nicht in dieser Symbolik erschöpft, muss sie die notwendigen Schritte konkret benennen und substanzielle Zusagen für finanzielle Grundlagen hervorbringen.

Quelle: Der Beitrag erschien im Original als ZEF-Policy Brief No.1 des > Zentrum für Entwicklungsforschung Bonn. Wir danken für die freundliche Genehmigung zum Abdruck.

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