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11. Februar 2007. Rezensionen: Indien - Kunst & Kultur Liebe aus Indien

Sudhir Kakar, Psychoanalytiker und Schriftsteller, wurde bekannt durch seine Studien zu Kindheit, Sexualität, Religion und Gesellschaft in Indien. Seine Anthologie moderner Geschichten über die Liebe erschien bereits 1999 auf Englisch. Sie enthält zwölf aus verschiedenen Regionalsprachen übersetzte und zwei auf Englisch geschriebene Erzählungen. Die deutsche Ausgabe ist eine Sekundärübersetzung dieser englischen Anthologie.

In der Einführung vergleicht Kakar die moderne Love Story mit der Darstellung von Liebe und Eros in der klassischen Sanskritliteratur und konstatiert: "Die heutige Welt der Liebe leuchtet selten hell; allzu häufig ist sie finster und trüb." Auffällig sei der Kontrast zwischen dem real sehr konservativen Verhältnis der Geschlechter und dem "Traum von einer Liebe, die vollkommen frei ist von sozialen Beschränkungen und verinnerlichten Verhaltensmaßregeln".

Einige Geschichten spielen in einem ländlichen und traditionell geprägten Rahmen, erzählt sind sie allerdings keineswegs naiv traditionell, sondern oft mit ironischen Tönen, wie etwa "Das Kraut" von Amrita Pritam (aus dem Panjabi), worin eine sehr junge Ehefrau Opfer des Liebestranks wird, den der jugendlich-charmante Nachtwächter ihres viel älteren Mannes ihr zu trinken gibt.

In der längsten Erzählung des Bandes, "Die Frage" von U. R. Anantha Murthy (aus dem Kannada), scheitert die Liebe daran, dass die Protagonistin nicht bereit ist, ihr Dorf zu verlassen und ihrem schon seit Kindheitstagen geliebten Verehrer in die Stadt zu folgen. Das strikte Veto ihres Pflegevaters und ihr familiäres Pflichtbewusstsein stehen der Erfüllung ihrer Liebe unüberwindlich im Weg.

Die Stories "Kahnfahrt" von Palagummi Padmaraju (aus dem Telugu) und "Haus-Frau" von Ismat Chughtai (aus dem Urdu) erzählen von außerordentlich starken und leidensfähigen Frauen, die trotz aller Demütigungen und Attacken mit unverbrüchlicher Treue zu ihren schwachen oder kriminellen Männern stehen.

Die Mehrzahl der Geschichten ist allerdings im Milieu der modernen städtischen Mittelklasse angesiedelt, und sie sind selten Liebesgeschichten im engeren Sinne. So behandelt "Das leicht entflammbare Haus" von Subodh Gosh (aus dem Bengali) die Peinlichkeit der zufälligen Wiederbegegnung eines seit Jahren geschiedenen Paares im Wartesaal eines Bahnhofs.

Trotz Liebe und des guten Willens einander zu verstehen scheitert in "Flecken" von Manjula Padmanabhan die Beziehung eines in den USA lebenden Inders zu seiner afro-amerikanischen Freundin an der kulturellen Kluft. Deep, der männliche Protagonist, steckt in der Klemme zwischen der Loyalität zu seiner traditionsverhafteten Mutter und den Erwartungen seiner modernen, emanzipierten Freundin. Die Begegnung der beiden Frauen wird zum Fiasko.

Mehrere Stories thematisieren die Langeweile und Frustration in der Ehe. In Ratanlal Shants Story "Ein anderes Dreieck" (aus dem Kashmiri) kommt es zu einer besonderen Wendung: als der gemeinsame Diener, der zum einzigen Bindeglied für das in der gemeinsamen Wohnung getrennt lebende Ehepaar geworden ist, einen mehrwöchigen Urlaub nimmt, erwachen die alte Fürsorglichkeit und die frühere Liebe wieder.

Viel Witz hat die Geschichte "Neuauflage" der Marathi-Autorin Gauri Deshpande. Die Ich-Erzählerin, nach einigen Ehejahren gelangweilt von der Routine ihres Hausfrauendaseins, nimmt eine Stelle bei einer Zeitschrift an und wächst bald in die redaktionelle Arbeit hinein. Sie wird - auch finanziell - unabhängig, verliebt sich in einen Schriftsteller, dessen neuen Roman sie rezensiert hat, und trifft ihn auf einer Dienstreise wieder. Die Pointe ist, dass auch diese so romantische heimliche Beziehung schon bald erste Anzeichen erkennen lässt, dass sie zur Neuauflage der allzu sachlichen Ehe wird.

Zwei Stories beleuchten eine unglückliche oder unmögliche - weil außereheliche - Liebe aus dem Blickwinkel von einseitig liebenden Frauen. Besonders gelungen ist Varsha Das' aus dem Gujarati übersetzte Geschichte "Kanupriya". Die Gefühle und Gedanken der Titelheldin verweben sich mit dem traditionellen Motiv der von ihrem über alles geliebten Krishna verlassenen Gopis (Hirtenfrauen) von Vrindavan.

Zwei Geschichten von satirischem Charakter haben arme, aber ambitionierte Literaten als männliche Hauptperson. "Die Gedanken sind frei und so weiter" von Dilip Kumar (aus dem Tamil) besteht zum großen Teil aus dem am Strand von Chennai geführten poetisch-prosaischen Dialog des Dichters Rahul mit seiner hübschen Kollegin Rajakumari aus dem Bekleidungshaus, in dem beide ihren Lebensunterhalt verdienen.

"Vikrams Vendetta" von Manohar Shetty (aus dem Englischen) erzählt witzig von dem Versuch eines Bombayer Möchtegern-Dichters, zu Geld zu kommen und sich zugleich an der Exfreundin Sona dafür zu rächen, dass sie ihn abblitzen ließ. Er verfasst - unter erheblichen Gewissensbissen und mit großen Mengen alkoholischen Treibstoffs - einen pornographischen Roman mit einer Mona als Heldin. Das Happy End ist in diesem Fall, dass Vikram das fertige Manuskript verbrennt und seine Liebesgeschichte mit Sona nun als ernstzunehmenden Roman zu schreiben beginnt, was ihm hilft, seine seelischen Wunden heilen zu lassen.

Angefügt sind ein Glossar und knappe biographische Informationen zu den Autoren. Diese beiden Appendices hätten ein wenig ausführlicher sein können. Das Bild auf dem Einband, ein grimmig dreinschauender Bollywood-Filmheld und eine sich an ihn klammernde Schönheit, passt nicht wirklich zu den Geschichten.

Fazit: die Auswahl ist unterhaltsam, lesenswert und deckt ein weites Spektrum moderner indischer Mentalitäten und literarischer Stilrichtungen ab.

Diese Rezension erschien in einer leicht gekürzten Fassung in: SÜDASIEN (Nr. 01, 27. Jahrgang/ Februar 2007).

Quelle: Liebe aus Indien. Moderne Erzählungen, gesammelt von Sudhir Kakar. München (C.H. Beck), 2006, 278 S.

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