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Auch Thematiken wie Autismus ("My Name is Khan", 2010) oder Schizophrenie ("Karthik Calling Karthik"; 2010) finden, verpackt in herzzerreißende Liebesgeschichten, Zuschauer und begeisterten Beifall. Doch nach wie vor gibt es Themen, die die indischen Kinosäle nicht füllen können und gleichzeitig in Europa anerkennendes Lob ernten. Die Frage, ob es überhaupt indisches Kino jenseits von Bollywoods Megaindustrie gibt, ist überflüssig. Man hat selbst in Deutschland ab und zu das Glück, Filme von sogenannten "independent" Filmemachern des Subkontinents zu Gesicht zu bekommen. Die Veranstalter der Berlinale laden Marathi-Regisseure ein, das südindische Kino erhält immer wieder Preise auf internationalen Filmfestivals und Expat-Regisseurinnen wie Deepa Mehta oder Mira Nair werden weltweit hoch geschätzt. Doch dies ist die globale Außenperspektive. Indische "independent"-Filme haben es im Land selbst alles andere als leicht... Aber es gibt sie!
"Thanks Maa" (2008) ist solch ein Film. Regisseur Irfan Kamal thematisiert in seinem Debütfilm das Leben auf Mumbais Straßen, Prostitution, Drogen, Kindesmissbrauch und Inzest. Er zeigt homosexuelle Kuss-Szenen, Prostituierte bei der Arbeit und Abhängige beim Gebrauch ihrer Spritzen. Nichts in seinem gesamten Spielfilm wirkt gespielt - ein seltener Eindruck bei indischen Filmen -, doch vieles wirkt in Kombination mit Popcorn und Pepsi seltsam fehl am Platz im Großformat auf der Leinwand in Mumbais klimatisiertem Multiplex-Kino "Fun Republic". Die wenigen Zuschauer sind geschockt, nicht weil sie Elend und Armut von ihren täglichen, Bus-, Auto-, Zug- oder Rikschafahrten durch den Großstadtmoloch nicht kennen würden, sondern weil man solche Szenen so gut wie nie auf einer indischen Leinwand zu sehen bekommt. Die Überzeugungskraft des Films liegt sowohl in seinen Bildern und der Natürlichkeit seiner DarstellerInnen, als auch in der Sprache. Glücklichweise war die nationale Zensurbehörde einmal milde und nachsichtig und hat nur wenige Passagen der Dialoge mit "Beeps" versehen. Der Bambaiyya-Slang der Straßenkinder ist hart, voller Flüche und Schimpfwörter, doch so realistisch wie die fiktiven Schicksale der Protagonisten.
Irfan Kamals Vorgehensweise erinnert an Mira Nairs "Salaam Bombay" (1988), für den sie damals Kinder von Bombays Straßen als Darsteller ihrer eigenen Realität rekrutierte. Auch "Thanks Maa"s HauptdarstellerInnen spielen quasi sich selbst. Das Filmteam begab sich monatelang auf die Suche nach geeigneten KandidatInnen in der Stadt und wählte schließlich 200 Kinder aus, die drei Monate lang täglich an einem Schauspielworkshop mit Experten der National School of Drama in Neu-Delhi teilnahmen. Mit Ausnahme von Shams Patel alias Municipality Ghatkopar (benannt nach dem öffentlichen Krankenhaus in Mumbais Stadtteil Ghatkopar, wo er als Säugling ausgesetzt wurde) fand Irfan Kamal seine kleinen HeldInnen in der Gruppe dieser Workshop-TeilnehmerInnen.
Die Story selbst ist denkbar simpel: der Straßenjunge Municipality Ghatkopar findet einen ausgesetzten Säugling und macht sich mit seiner Gang auf die erbitterte Suche nach der Mutter, um nach einer Irrfahrt durch Mumbais vielschichtige Panoramen und Facetten seiner Unter- und Oberwelt am Ende auf ein Inzest-Drama innerhalb der neureichen Oberschicht zu stoßen. Der 12-jährige Municipality, der sich auch wahlweise als Salman Khan (nach dem Schauspieler) vorstellt, kämpft mit all seinen Kräften für seinen kleinen Schützling, in der Hoffnung, ihn vor einem Schicksal wie seinem eigenen bewahren zu können. Die Leidenschaft, mit der der kleine Held seine Rolle verkörpert, ist mehr als überzeugend und nicht umsonst erhielt Shams Patel alias Municipality kürzlich den National Award als bester Kinderdarsteller. Der Film endet mit einem Appell an alle Mütter, für ihre Kinder da zu sein und mahnt mit Statistiken von durchschnittlich 270 täglich in indischen Krankenhäusern ausgesetzten Säuglingen.
Es verwundert kaum, dass Indiens Kinokassen seit dem Filmstart am 5. März 2010 nicht unaufhörlich klingeln, so manche Vorstellung wurde sogar wegen fehlenden Publikums abgesagt. Es wäre zu teuer gewesen, den Projektor und die Klimaanlage für zwei Zuschauer anzuwerfen. Nach der ersten Woche läuft der Film nur noch in zwei Kinos in Mumbais Vororten. Im wohlhabenden Süden der Stadt haben ihn die Kinobetreiber gänzlich aus dem Programm genommen. Die Times of India schrieb, ein großer Nachteil sei, dass der Film durch seinen späten Kinostart nun in den Schatten des Hollywood-Lieblings "Slumdog Millionaire" geraten wäre. Dies hätte nicht der Fall sein müssen, denn "Thanks Maa" wurde bereits 2008 erfolgreich auf dem International Film Festival in Goa gezeigt und hätte bereits vor "Slumdog" in die Kinos kommen können. Doch es lässt sich trotzdem bezweifeln, ob dies etwas an der Aufnahmebereitschaft des indischen Kinopublikums geändert hätte.
"Thanks Maa", obwohl komplett indisch produziert, erinnert doch eher an eine auf westliches Publikum ausgerichtete Sozialstudie menschlicher Abgründe. Für die meisten indischen Kinogänger zieht hier eine bereits bekannte negative Argumentation: Wozu soll man/frau 160 Rupien (knapp 3 Euro) bezahlen und zwei Stunden im unterkühlten AC-Saal frieren, wenn man doch nur die Realität jenseits der Kinowände zu sehen bekommt und sich eventuell anschließend sogar unwohl fühlt!? Dann doch lieber drei Stunden in die Welt der versnobten, liebeskranken Auslandsinder in den USA abtauchen...
Doch es lohnt sich! "Thanks Maa" ist ein bemerkenswerter, außerordentlich gut beobachteter, bewegender Film, der zudem eine Ode an die Stadt Bombay/Mumbai und ihre zahlreichen Gesichter ist. Ein sozial anspruchsvolles Roadmovie durch den Kosmos dieser Megastadt und ein beigeisterndes Panorama seiner Bewohner.
Thanks Maa. 2008. 120min.
Quelle: "Thanks Maa"
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