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Call for Papers: Liebe Leserinnen und Leser, in loser Folge möchten wir Spezialisten vorstellen, die langjährig in der und über die Region gearbeitet haben - sowohl im akademischen als auch im nicht-akademischen Bereich - und daher fundierte Einblicke eröffnen können. Ziel ist es dabei entgegen den Trends einer oft schnelllebigen Mediengesellschaft das zumeist Jahre und Jahrzehnte umfassende Schaffen von Wissenschaftlern und Fachleuten in möglichst umfassender Bandbreite sichtbar zu machen, d.h. ein Werk durchaus mit unterschiedlichen Akzentsetzungen, Brüchen oder theoretischen Ansätzen vorzustellen. Die Redaktion freut sich wie immer auf Ihre Vorschläge, Ideen, Anregungen und Mitarbeit an dieser Reihe! ... [mehr ...]
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Ende 2011 reist Sebastian Lörscher das erste Mal nach Indien, genauer, nach Bangalore, wie der Untertitel seines Skizzenbuches verrät. Viel weiß er nicht über dieses Land, und was er über Indien weiß, kennt er aus dem Fernsehen: Frauen mit bunten Tüchern, heilige Kühe oder Bollywood-Tänze. "Alles in allem wusste ich also rein gar nichts über die Inder – weder wie sie lebten, arbeiteten, noch was sie so dachten und was sie bewegte." (S.3) Was liegt also näher, als hinzufliegen und selbst Bilder zu machen? Warum nicht das tun, was er am besten kann – zeichnen? Lörscher gelingt es, die Menschen dieser pulsierenden Metropole mal versteckt, wenn das als Europäer überhaupt möglich ist, mal ganz offen zu beobachten, und seine Eindrücke in klaren Bleistift-, Buntstift- und Federzeichnungen festzuhalten. Schon die unterschiedlichen Zeichentechniken laden zum Schmökern und Verweilen ein. Zum Eintauchen in eine Stadt, die zu den am schnellsten wachsenden Großstädten der Welt gehört und ein "Schmelzkessel unterschiedlichster Kulturen, Religionen und Lebensformen" (S.3) ist.
Das Ergebnis können wir als 144 seitiges Reiseskizzenbuch in der Hand halten. Eine wahrhaft bemerkenswerte Idee, dessen Umsetzung höchst gelungen ist. Mit Stift und Skizzenbuch hält Lörscher Momente in lebendigen Skizzen und kurzen Episoden fest. In ihrer Mischung aus Skizzenbuch und Comic, kommt jene Graphic Journey bei einzelnen Zeichnungen auch ohne Worte aus. Und wo Kurzgeschichten des Alltags erzählt werden, sind Worte präzise eingesetzt. Entstanden sind humorvolle Episoden, detailreich, und vor allem Geschichten, die sich nicht der üblichen Klischees bedienen. Damit ist Lörscher ein wahrer Kunstgriff gelungen. Vielleicht sogar jener, der diese Graphic Jouney zu dem macht, was sie ist, nämlich zu etwas Besonderem.
Aber gehen wir noch einmal zurück an den Anfang und beginnen unsere Reise durch den Alltag Bangalores, indem wir dem Skizzenbuch chronologisch folgen: Eingeführt wird die Graphic Journey durch ein Vorwort, in dem Lörscher sein Anliegen nicht nur in den Worten "Da ich über all das mehr erfahren wollte, tat ich das, was man als Zeichner eben tut, wenn man an einem fremden Ort ist und sich nicht auskennt: Ich setzte mich auf die Straße - und zeichnete." (S.4) an die Leserschaft bringt, sondern ebenso auf den folgenden Seiten skizziert (S.7-9). Wie sich während des Zeichnens immer mehr Menschen um ihn drängen und warten, bis er ihnen das Ergebnis präsentiert. Wie er willkommen geheißen wird in Bangalore, freundlich und offen (S.12-13). Diese erwartungsvollen Augenblicke des Kennenlernens greift Lörscher nicht nur am Anfang seines Skizzenbuches auf. Sie begegnen uns immer wieder im Verlauf und sind der rote Faden, an dem sich die Zeichnungen aufhängen. Einbild-Skizzen ermöglichen uns Einblicke in das Alltagsleben Bangalores (S.14-22). Mit der Rikscha geht es weiter. Und auch wenn Hafeez, der Rikschafahrer, die Devanahalli Road nicht kennt, so weiß er sich doch zu helfen und fragt sich durch. Am Ende kommt Lörscher genau dort an, und hat einen neuen Freund gewonnen. Er zeichnet Männer bei ihrem Business (S.32-37, 50-54, 66-67), und wird zu einer dreitägigen Hochzeit eingeladen (S. 38-49). Er macht Bekanntschaft mit einem Galleristen, der sich auf Portraits spezialisiert hat und eine seiner gezeichneten "very famous" indischen Persönlichkeiten aus Shampoo-Werbung u.ä. an den Lörscher bringen will (S. 55-65). Mit Rucha, einer 20jährigen Inderin, lernen wir das Entscheidungsspiel kennen: "That´s a game! It's all about good questions … and the decisions, of course. We play this always in India" (S.69). Dabei gilt es, sich zwischen zwei Möglichkeiten zu entscheiden: "For example, I could ask you if you would prefer dying young and famous or old and unfamous... Or especially for you: Never having sex again or never sketching again?" Wir begleiten Rucha und Lörscher nicht nur durch Bangalore, sondern erfahren Ansichten einer jungen Frau, etwas über Kinofilme, das Nachtleben, und was passieren kann, wenn die Flucht vor der Polizei in einem Schlagloch endet. Nämlich mit Gehirnerschütterung und verbundener Hand im Krankenhaus (S. 68-83) und neugierigen Fragen: "Uncle, what happend to your hand?" (S.81). Auf einer Brache, die zum Cricket-Spielen genutzt wird, lernt Lörscher zwei Jugendliche kennen, die ihn schließlich zu sich nach Hause einladen. Er wird willkommen geheißen von allen Familienmitgliedern dieser zwei Brüder, deren Klassenkameraden nicht wissen sollen, dass sie in einem Armenviertel leben (S.86-95). Schließlich begeht er mit shiitischen Muslimen im Monat Muharram das Trauerfest (S. 96-107). Das Buch endet mit einer erneuten Begegnung mit Rucha, die ihn vor die Entscheidung stellt: "Saying goodbye or making new friends?"
Wenn wir diese Skizzen anschauen, sind wir mitten drin in dieser pulsierenden Metropole. Können Gerüche wahrnehmen und sind den Menschen fast selbst begegnet - so fein sind jene Beobachtungen. Dieses Skizzenbuch ist eine Bereicherung für Da-Gewesene und Hin-Wollende: die einen werden schmunzeln und alte Bekannte treffen, die anderen dazu eingeladen, selbst zu erfahren. Einzig, mehr skizzenhafte Straßenszenen wären wünschenswert gewesen. Alles in allem ist diese Graphic Journey ein empfehlenswertes Pendant zu literarischen Reisebeschreibungen über Indien. Geniale Zeichnungen in bemerkenswerter Aufmachung.
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