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20. Januar 2002. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Chinas Premier Zhu Rongji betont Wirtschaftsbeziehungen mit Indien

Chinas Premierminister Zhu Rongji besuchte vom 13. bis zum 18. Januar 2002 Indien. Die Nummer Zwei der Volksrepublik China, begleitet von einer 25-köpfigen Wirtschaftsdelegation, die 39 wichtige Staatsfirmen repräsentierte, plädierte für engere Wirtschafts- und Geschäftsbeziehungen zwischen beiden Staaten. Nach den politischen Gesprächen mit der indischen Führung in Delhi besuchte Rongji die Finanzmetropole Mumbai (Bombay) und das IT-Zentrum Bangalore.

Der angestrebte Ausbau der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen könnte das wechselseitige Konfliktpotential verringern und zu einer nachhaltigen Entspannung zwischen den beiden bevölkerungsreichsten Staaten Asiens und der Welt beitragen. Gegenwärtig sieht es deshalb ganz danach aus, als ob dieser Besuch einen wichtigen Schritt bei der weiteren Normalisierung der Beziehungen zwischen Indien und China darstellt.

Rongji erklärte beim Staatsbankett in Delhi: "Gegenwärtig durchläuft die internationale Situation komplexe und tiefgreifende Veränderungen. Als die beiden größten Entwicklungsländer der Welt tragen China und Indien wichtige Verantwortlichkeiten für die Erhaltung von Frieden, Stabilität und Prosperität in Asien auf ihren Schultern. Wir würden gerne unsere Zusammenarbeit in internationalen Angelegenheiten stärken und zusammenarbeiten, um die Errichtung einer gerechten, gleichberechtigten politischen und wirtschaftlichen Ordnung zu fördern. Ich bin überzeugt, dass die chinesisch-indischen Beziehungen eine hellere Zukunft haben werden."

Das Statement wird von Beobachtern als wesentliche Änderung der bisherigen chinesischen Position betrachtet, die Indien bislang keine Rolle über Südasien hinaus konzedierte. Eine plausible indirekte Erklärung für die Anerkennung einer praktisch gleichberechtigten Rolle Indiens neben China liegt sicherlich auch in den qualitativ erheblich verbesserten Beziehungen Indiens zur USA. (V. Sudarshan: Frost-Bite. Chinese Cures, in: Outlook, 28.1.2002, S.42/43)

Indiens Premierminister Atal Behari Vajpayee begrüßte den Gast als "Premierminister eines freundlichen Nachbarlandes" und sagte: "Der Austausch zwischen unseren beiden Ländern wird weiter gestärkt werden und wir werden in verschiedenen Sektoren in einer definierten und zeitgebundenen Weise voranschreiten. Der gute Fortschritt bei der Klärung und Bestätigung der Line of Actual Control signalisiert diese Absicht."

Modifizierte chinesische Außenpolitik gegenüber Indien?

Dieser erste Besuch eines chinesischen Premiers nach etwa zehn Jahren auf dem - wenn auch etwas abflachenden - Höhepunkt der Spannungen zwischen Indien und Pakistan signalisiert nach Ansicht von K. Subrahmanyam, dem Nestor der indischen Sicherheitspolitik, Veränderungen in der Politik Chinas, die "eine wesentliche Revision seiner Außenpolitik gegenüber dem Subkontinent" deutlich machen. (Times of India, 16.1.2002, S.9)

Vor etwa genau einem Jahr bereitete der Besuch von Li Peng, Vorsitzender des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses und damit die Nummer Zwei in der Hierarchie der Kommunistischen Partei Chinas, den Boden für eine differenzierte chinesische Position gegenüber Indien und dem südasiatischen Subkontinent vor.

Sowohl Premierminister Vajpayee als auch Zhu Rongji betonten ein angemessenes Vorgehen gegen den Terrorismus. Zhu Rongji sprach sich für eine gemeinsame Arbeitsgruppe zu diesem Themenkomplex aus, die er "eine logische Erweiterung des bestehenden bilateralen Sicherheitsdialogs" nannte (Towards A Realistic Engagement? in: The Hindu, 17.1.2002) Der chinesische Gast verurteilte unmissverständlich die Terroranschläge auf das Parlament in Srinagar am 1. Oktober und auf das Parlament in New Delhi am 13. Dezember 2002. Außenminister Jaswant Singh unterstrich Indiens Bereitschaft, trotz der engen Beziehungen Pekings mit Islamabad sein diplomatisches Engagement mit China voranzutreiben. Beide Seiten machten deutlich, dass China keine Rolle als Friedensvermittler in der gegenwärtigen Krise zwischen den beiden südasiatischen Erzrivalen spielen wird.

Einige Irritationen zwischen beiden Seiten bestehen weiterhin. Die seit Jahrzehnten ungeklärte Grenzfrage bedarf trotz kleinerer Fortschritte noch erheblicher Verhandlungsbemühungen. Im westlichen Sektor der Line of Actual Control gibt es acht und im östlichen Sektor sechs Gebiete, über die wesentliche Meinungsverschiedenheiten herrschen. Auch die indische Gastfreundschaft für den Dalai Lama und den aus China geflohenen Karmapa Lama wird von Peking unvermindert beanstandet.

Trotz der in Indien beachteten Zurückhaltung Chinas im gegenwärtigen Konflikt zwischen Indien und Pakistan äußerte sich Jaipal Reddy, Hauptsprecher des Congress (I) und Mitglied des Unterhauses, kritisch über die Rolle Chinas, denn es habe in jüngster Zeit u.a. neue Kampfflugzeuge, diverse Waffen und Ersatzteile an seinen Verbündeten Pakistan geliefert. Man könne China weiterhin nicht trauen.

Jayram Ramesh, Wirtschaftsexperte des Congress (I) und Leitartikler des führenden Wochenmagazins India Today, meint andererseits, es bestehe kein indisches Interesse daran, sich als Bollwerk vor den Karren einer Eindämmung Chinas durch die USA spannen zu lassen: "China has finished India in economic terms." Falls Indien gegen diese asiatische Supermacht wettrüsten wolle, dann drohe dem Land das Schicksal der ehemaligen Sowjetunion.

Plädoyer für stärkere Wirtschaftszusammenarbeit

Der chinesische Premierminister kündigte ab 28. März direkte Flugverbindungen zwischen beiden Ländern an, die dazu beitragen könnten, einen verstärkten Austausch zwischen China und Indien zu ermöglichen. Air China wird dreimal in der Woche zwischen Peking und Delhi fliegen, China Eastern viermal zwischen Delhi und Shanghai.

Zhu Rongji beklagte in Bombay aber das immer noch viel zu niedrige Niveau des Handelsaustauschs zwischen Indien und China von jährlich insgesamt nur ca. 3 Milliarden US-Dollar. Angesichts der Stärke und des Potentials beider Volkswirtschaften sollten nach seiner Ansicht bei "größerer Ermutigung und ernsthaftem Engagement 10 Mrd. US-Dollar" in absehbarer Zukunft möglich sein. Er forderte indische Unternehmen auf, verstärkt in China zu investieren. Arun Bharat Ram, Spross einer alteingesessenen nordindischen Industriellenfamilie und für die internationalen Aktivitäten des größten indischen Industriedachverbandes Confederation of Indian Industries (CII) verantwortlich, attestierte: "Chinas Eintritt in die Welthandelsorganisation wird das Niveau des Handelsaustauschs zwischen den beiden Ländern verändern. Innerhalb der nächsten fünf Jahre sollte es die Größenordnung von 15 Mrd. US-Dollar erreichen."

"Potentiell profitable" Bereiche für gemeinsame Aktivitäten, so Premier Rongji, seien die Informationstechnologie, Telekommunikation, Wissenschaft und Forschung sowie das Erziehungs- und Ausbildungswesen. "Wir müssen wechselseitig unsere Märkte erforschen. – Wir können gemeinsame Unternehmen in Indien, wo Arbeitskräfte billig sind, gründen und IT-Produkte zu billigeren Kosten zur Verfügung stellen." Rongji verwies darauf, dass China über komparative Vorteile bei Hardware und Indien bei Software verfüge. Er regte die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe für Wissenschaft und Technologie an, um Bereiche gemeinsamer Zusammenarbeit bei Erziehung und Computer Hardware zu identifizieren.

In der indischen öffentlichen Diskussion wird zunehmend die im Vergleich zu Indien überlegene Wirtschaftskraft Chinas realistisch anerkannt. Der chinesische Premier erteilte seinen sicherlich etwas zähneknirschenden Gastgebern Anschauungsunterricht in erfolgreicher Reformpolitik: 7 % Wachstum auch in einer Phase globaler Rezession, ein Außenhandel im Wert von 500 Milliarden US-Dollar und ausländische Investitionen in Rekordhöhe von 46,8 Mrd. US-Dollar im letzten Jahr.

Den Profiteuren des einstigen Regimes der Lizenzherrschaft ("Licence Raj") mit ihren über viele Jahrzehnte hinweg in der politischen Ökonomie des Nehru-"Sozialismus" garantierten Monopol- und Oligopol-Gewinnen präsentierte er süffisant die Ergebnisse einer Marktanalyse seiner Delegation in Bombay, die gezeigt hätte, dass die Preise für Elektronik- und Haushaltswaren drei- bis sechsmal so hoch lägen wie in China: "Wir können die Technologie bringen, gemeinsame Unternehmen errichten und selbst nach der Addition notwendiger Zölle wären die Produkte billiger." (Zhu seeks more joint ventures, in: The Hindu, 17.1.2002, S.10) Während des Besuchs in Bombay, Hyderabad und Bangalore wurden von den chinesischen Gästen Verträge im Wert von 250 Millionen US-Dollar abgeschlossen.

Vor Mitarbeitern des führenden indischen Software-Herstellers Infosys sagte Rongji: "Wir sind die Nummer Eins bei Hardware und Sie sind die Nummer Eins bei Software. Wenn wir die Hard- und Software zusammenbringen, können wir die Nummer Eins in der Welt werden und zusammen Fortschritte erzielen." (Together we can top in IT, says Zhu. in: The Hindu, 18.1.2002, S.1) Er erteilte Infosys-Chef N. R. Narayana Murthy spontan die Genehmigung, in Schanghai eine Niederlassung seiner global operierenden Firma für die Entwicklung von Software und ihre Vermarktung in China zu errichten.

Die indischen Software-Exporte überschritten in 2000/01 6 Mrd. US-Dollar, während die chinesischen Exporte in diesem Bereich unterhalb von einer Mrd. US-Dollar lagen. Chinesische Programmierer kosten jedoch weniger als ihre indischen Kollegen. Indien könnte deshalb bald unliebsame Konkurrenz erwachsen. Mehrere chinesische Delegationen besuchten bereits indische IT-Zentren und insbesondere Bangalore, um die Grundlagen der indischen Erfolge in der IT-Branche zu studieren. (Zhu´s Zhumerang, in: Times of India, 19.1.2002, S.12)

Der indisch-chinesische Handel wuchs um nahezu 30 % in den letzten drei Jahren. Analytiker halten das von Rongji vorgegebene Ziel eines Gesamthandelsvolumens von 10 Milliarden US-Dollar innerhalb der nächsten Jahre für realistisch, denn auch in anderen Ländern hätten die Chinesen entsprechende Ankündigungen in die Tat umgesetzt. (C. Raja Mohan: Now, economics will drive Sino-Indian ties, in: The Hindu, 19.1.2002, S.9) Das Anwachsen des bilateralen Handels zwischen Indien und "Greater China", d. h. Volksrepublik China, Hongkong und Taiwan, auf insgesamt ca. 9 Milliarden US-Dollar, etwa 10 % von Indiens Welthandel, erleichtert auch nach Ansicht von Jayram Ramesh den politischen und wirtschaftlichen Dialog zwischen diesen beiden sich bislang antagonistisch gegenüberstehenden Staaten.

Während des Besuchs unterzeichneten beide Seiten sechs Dokumente für eine Zusammenarbeit, so u.a. in den Bereichen der friedlichen Entwicklung des Weltraums, Wissenschaft und Kultur, Tourismus und Wasserkonservierung. Hydrologische Informationen über den Brahmaputra können es Indien ermöglichen, das Management seiner Wasserressourcen in Arunachal Pradesh und Assam zu verbessern, so Himanshu Thakkar vom South Asian Network of Dams, River and People.

Einschätzung und Perspektiven

Das chinesische Außenministerium betonte in einer Erklärung das Überwiegen gemeinsamer Interessen trotz der bestehenden Dispute: "Der Besuch verstärkte die Freundschaft zwischen China und Indien, erhöhte das bilaterale Verständnis und Vertrauen und förderte den Austausch und die Zusammenarbeit in einer Vielzahl von Bereichen." (Zhu´s visit to India fruitful, says China, in: Times of India, 18.1.2002, S.13)

C. Raja Mohan betont, dass die wachsende Bedeutung der Geo-Ökonomie auch die geopolitischen Beziehungen zwischen China und Indien transformieren könnte. Statt politischer Kontakte zwischen Peking und New Delhi könnten bald die wirtschaftlichen Kontakte zwischen Schanghai und Bangalore tonangebend werden. Ein schnell wachsendes wirtschaftliches Engagement zwischen beiden Ländern könnte Peking veranlassen, seine politischen Prioritäten gegenüber dem Subkontinent zu überdenken. "Zhu Rongji signalisierte eine Strategie, die Beziehung mit Indien trotz Peking´s Allwetterfreundschaft mit Islamabad schnell zu verbessern."

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