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15. Mai 2008. Rezensionen: Indien - Kunst & Kultur Abenddämmerung über Awadh

Shaam-e-Awadh: Writings on Lucknow

Veena Talwar Oldenburgs Buch über den "Abend von Awadh" (Shaam-e-Awadh) führt in fünf Abschnitten sehr kenntnisreich und zugleich unterhaltend in das historische Lucknow ein. Thematisiert werden sein Entstehen als Hauptstadt des legendären Reiches von Awadh, die Hochblüte und die sprichwörtliche Dekadenz unter der Herrschaft der Nawabs, Lucknow während des Aufstands von 1857, und die sich im 20. Jahrhundert radikal verändernde Hauptstadt des Mega-Staates Uttar Pradesh.

Veena Talwar Oldenburg ist Professorin für Geschichte am Baruch College und am Graduate Center der New Yorker City University. Die in Lucknow geborene und in ihrer Jugend dort aufgewachsene Herausgeberin dieser überaus interessanten Textsammlung veröffentlichte auch zwei weitere Bücher: The Making of Colonial Lucknow, 1856-1877 (Princeton University Press) sowie Dowry Murder: The Imperial Origins of a Cultural Crime (Oxford University Press, New York).

Insgesamt sind in einer gelungenen Mischung circa 30 indische und internationale AutorenInnen, darunter der legendäre Moghul-Dichter Mirza Ghalib, Rudyard Kipling, Mark Twain, V. S. Naipaul und William Dalrymple vertreten. Neben älteren, wieder abgedruckten Beiträgen enthält die Aufsatzsammlung auch neue Artikel. Zu allen AutorenInnen findet sich zu Beginn ihres jeweiligen Beitrags eine kurze Charakteristik ihres Werkes beziehungsweise Berufslebens, die dem Leser einen guten Überblick ermöglichen. Die Herausgeberin deutet in ihrem Vorwort den historischen Rahmen mit seinen kulturellen Ausdrucksformen an, etwa die berüchtigte Verschwendungssucht der herrschenden Elite im 18. und 19. Jahrhundert, die Rolle des schiitischen Adels, Lucknows eigenen Lebensstil mit seinem "eleganten Urdu" sowie die wichtigsten Bildungsinstitutionen, unter anderem die La Martiniere Boys' School. Auch von der einst bemerkenswerten Architektur - "seine berühmte Silhouette von Minaretten und Kuppelbauten" (S. XIV) in der einstigen "Stadt der Gärten", wird berichtet. "Als Ergebnis von Jahrzehnten schlecht geplanter und liebloser Entwicklung" unter der politischen Führung von so unterschiedlichen Ministerpräsidenten wie Mulayam Singh Yadav und Mayawati Kumari wurde Lucknow jedoch zur oft gesichtlosen Großstadt, die aus allen Nähten platzt.

Veena Talwar Oldenburg steuert selbst fünf eigene Beiträge bei: "Die Nawabs aus westlicher Sicht", eine "Genealogie der Nawabs und Könige von Awadh" mit einer anschaulichen Übersichtsgrafik, eine Analyse der brutalen Kämpfe 1857/58, eine bestens recherchierte Beschreibung des Innenlebens der "Nachmittage in den Kothas von Lucknow" sowie, zusammen mit der Journalistin und Autorin Mrinal Pande, einen kurzen Artikel über die pompösen Geburtstagsfeiern von Mayawati.

Die Auswahl der sowohl chronologisch als auch thematisch geordneten und überwiegend recht kurzen Beiträge erlaubt es dem Leser, die Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner, seien es schiitische Muslime, britische Kolonialadministratoren oder Zuzügler nach 1947, in all ihrer Vielfalt im Nachhinein kennen zu lernen. Es ist kein dozierendes oder sezierendes Buch, ganz im Gegenteil. Es lädt ein, den Glanz einer ehemals synkretistischen Stadtkultur mit ihren untergegangenen Stilformen im Umgang der Menschen miteinander nachzuvollziehen. Ein wenig Nostalgie spielt bei so manchen Beiträgen sicherlich mit, speziell wenn man sich vor Augen hält, wie die schlimmen kommunalistischen Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Muslimen, angeheizt von den Frontorganisationen des extremen Hindu-Nationalismus, ab den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, die Beziehungen zwischen den Menschen in vielen Städten Indiens grundlegend zum Nachteil veränderten.

Ein geschichtliches Kaleidoskop

Maya Jasanoff, Geschichtsprofessorin in Harvard, bezeichnet "Lucknow als die Kulturhauptstadt Indiens, ein Rom des Ostens" (S. 42) während der Phase des Niedergangs der Moghul-Aristokratie. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren der Nawab Asaf ud-Daula und der Franzose Claude Martin dort die größten Sammler von Kunst und Manuskripten.

Veena Talwar Oldenburg berichtet in einem faszinierenden Artikel von ihrer ein Jahrzehnt währenden Forschung in einem Kotha über ältere und jüngere Kurtisanen, "diese mächtigen, reizenden, kühnen, sogar wilden Frauen", die "das ‚Ansehen' eines zentralen Pfeilers der Gesellschaft - die Heirat - herausforderten." (S. 102) Die Autorin verfolgt diese Institution von der Blütezeit des Hofes von Awadh über die Anpassungen während der Kolonialzeit bis zu ihrem faktischen Ende in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts.

Kurtisanen verfügten einst über "die größten individuellen Einkommen in der Stadt." Sie beteiligten sich durch verdeckte Anstiftung und finanzielle Unterstützung am Aufstand gegen die Kolonialherrschaft 1857, wobei durch die Prostitution im Umfeld dieser Kothas interessanterweise "mehr Soldaten an Geschlechtskrankheiten als im Kampf starben." (S. 103)

Die herausragenden Kurtisanen waren einst bekannt für ihre kulturellen Soirées. "Sie waren die anerkannten Bewahrer und Künstler einer Hochkultur des Hofes und gestalteten aktiv die Entwicklungen der Hindustani Musik und der Kathak Tanzstile." (S. 107) In den üppig ausgestatteten Appartements in den Basaren des Chowk und in Kaisar Bagh versammelten sich die talentiertesten Tabla und Sarangi Spieler sowie herausragende Küchenchefs. "Viele der Musiker gehörten zu berühmten Familien und der größte Teil der Hindustani Musik des späten 19. Jahrhunderts wurde in diesen Salons erfunden und transformiert" (S. 108), in der Spätphase allerdings unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen.

In einem Auszug aus V. S. Naipauls "India: A Million Mutinies Now" verweist der Autor darauf, wie muslimische Kultur - "Sprache, Sitten, Musik, Essen" (S. 250) - durch die Migration des größten Teils der Muslime aus Lucknow nach Pakistan verschwand oder bestenfalls noch in kläglichen Überresten im Ghetto der Altstadt mit ihren Basaren und "einem Hauch von Tausend und einer Nacht" (S. 252) überdauerte.

Der Erfolgsautor William Dalrymple, unter anderem bekannt durch seine exzellenten Bücher "The White Mughals" und "The Last Mughal", skizziert in einem Auszug aus "The Age of Kali" die enormen gesellschaftlichen Veränderungen und den Niedergang dieser einst "wohlhabendsten und zivilisiertesten Stadt des vorkolonialen Indien" (S. 221). "Unter den Nawabs erlebte Lucknow eine Renaissance, die letzte große Blüte des Indo-Islamischen Genius." (S. 223) Er erinnert an den großen Dichter Mir, die gesellschaftlichen Interaktionen während der Herrschaft der Nawabs, die Assimilation von Europäern in der Stadt "zwischen der alten Welt der Nawabs und der neuen Welt des Raj" (S. 237), aber auch an die Überzeugung der Briten "von ihrer eigenen Überlegenheit." (S. 228) Sie zerstörten 1857 Teile der architektonischen Prachtbauten Lucknows - der "Kaiserbagh war größer als die Tuillerien und der Louvre zusammen" (S. 250). Dalrymple schreibt auch ausführlich über das legendäre La Martiniere College und viele seiner berühmten Studenten, die allerdings nicht über die großen Urdu-Dichter von Lucknow und Delhi oder über die Kultur Indiens unterrichtet wurden. (S. 238).

Die zunehmende Kriminalisierung der Politik, die Drogenmafia, der Niedergang des La Martiniere College und der soziale Abstieg der "alten anglophilen Elite Indiens" (S. 240), offene Straßenkämpfe mit Gewehren und Granaten und eine Kultur der Gewalt - "Man kann sich an keiner Wahl ohne Pistole beteiligen" (S. 244) - bilden den endgültigen Abschied von dieser einst so herausragenden Stadtkultur. Dalrymple zitiert einen seiner Gesprächspartner über Lucknows Politiker: "Das Einzige was wir tun können, ist in unseren Wohnzimmern zu sitzen und zuzusehen, wie diese Kriminellen unser Land plündern." (S. 230)

Lucknow als lohnender Kurzaufenthalt für den Reisenden

Viele Reisende lassen Lucknow auf ihrem Weg nach Varanasi (Benares) leider oft links liegen. Selbst heute noch lohnt es sich jedoch, einiges von der Pracht und dem Charme dieser einstigen Hauptstadt des Königreichs von Awadh einzufangen. So kann der Besucher die Architektur des Imam Bara und anderer Bauten bewundern, durch die Altstadt bummeln und dort vielleicht kleine Parfum-Fläschchen einkaufen. Zu bewundern sind wunderschöne Chikkan-Stickereien auf eleganten Salvar Kameez, unter anderem seit Jahrzehnten durch die lokale Self-Employed Women's Association (SEWA) gefördert, sowie lukullisch - für Nicht-Vegetarier - das legendäre Kakori Khabab, das förmlich auf der Zunge zergeht. Empfehlenswert ist ebenfalls der Erwerb einer Kopie des nicht-kommerziellen Filmes Anjuman mit Shahbana Azmi in der Hauptrolle, der viel von der Lebenswelt und Atmosphäre des alten Awadh einfängt. Unverzichtbar aber sollte die Lektüre dieser von Veena Talwar Oldenburg herausgegebenen und sehr gut editierten Textsammlung sein, gerade auch, um Lucknow in historischer Rekonstruktion als Hauptstadt des bevölkerungsreichsten Staates der Indischen Union mit seinen für die Regierungsbildung in Delhi so wichtigen Abgeordneten noch besser verstehen zu können.

Quellen

Shaam-e-Awadh: Writings on Lucknow
Edited by Veena Talwar Oldenburg
Penguin Books
New Delhi, London, New York, Johannesburg 2007
273 Seiten, 395 Rupien.
ISBN-13: 978-0-14310-245-8
ISBN-10: 0-14310-245-1

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